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RENÉ DEUTSCHER: Gastkolumne: “Ist die verstorben, oder können wir die noch einladen?”

RENÉ DEUTSCHER: Genau so, nur anders!

Einmal mehr ist die aktuelle Musikszene im Umbruch. Nicht nur die Schlagerszene, sondern das Musikgeschäft insgesamt sieht sich gewaltigen Herausforderungen ausgesetzt. RENÉ DEUTSCHER ist bekannt dafür, Dinge beim Namen zu nennen. Gerne veröffentlichen wir seine aktuelle Kolumne, in der er Thesen aufstellt, die viele nicht gerne hören werden, auch wenn sie den Nagel auf den Kopf treffen…

Friedhof der Qualität

Es ist ein Trauerspiel- die letzten drei Jahre haben uns deutlich gezeigt, wie fragil der deutsche Musikmarkt ist. Dominiert von der Güte und Gunst der Major-Labels gibt es nur ganz wenige Künstler, die bis dato Absatzzahlen im Verkauf erreichen, die überhaupt die Produktions- und Herstellungskosten decken. 

Und dann gibt es Künstler, die ihre Musik aus Leidenschaft und Überzeugung machen – und nicht, weil das Label der Meinung ist, dass die “Snare” leiser muss, bzw. warum da überhaupt eine spielt? Und überhaupt-  „mach’ das mal so, der Gesang muss früher einsetzen, sonst schalten die User bei Spotify sofort weiter.“ Bevor also ein Song arrangiert und produziert wird, guckt man sich erst einmal die Statistiken zum Userverhalten an, damit man den Song dahingehend optimieren kann, bzw. muss. Und nun wird es wahrscheinlich niemanden mehr wundern, warum viele Songabläufe identisch sind – ob nun von Künstler A, Künstler B oder Band ABC. Der Ablauf ist schon lange nicht mehr Sache des Komponisten … dieser liefert nur die „zu optimierende Erstidee”.

Es ist kein Scherz – der Gesang muss spätestens nach 5-8 Sekunden einsetzen (besser sogar früher) und der Trend von Songs bei Spotify geht zu unter drei Minuten! Bedenkt man, dass ausgerechnet dieses Medium der größte Ausbeuter alle Kreativen ist, muss man sich mit Hyperschall gegen den Kopf klatschen, warum die Labels sich der Gier solcher Streamingdienste beugen? Richtig! Weil es hier um die Quantität geht, nicht um die Qualität. Wenn ein Major-Label die Datenbank des Streamingsdienstes um ein vielfaches aufbläht, dann macht es eben der Anteil am Gesamtstreamingvolumen – und je massiver dieser ist, desto höher die sogenannte Quote.

Mach’s einfach!

All diese Umstände führen also dazu, dass hochwertige Werke (kompositorisch) in der heutigen Medienlandschaft unerwünscht sind. Simple, einfach und eingängig muss es sein. Und bitte, bitte, bitte – bloß keine sozialkritischen Texte! Das überlassen wir dann den ganz alten Hasen, denen man das auch abnimmt, aber bloß kein frischer Künstler! Man stelle sich mal vor, wie ein Song ankäme, der mit dem Song „Ich klebe fest” auf den Markt kommt, was eben nicht in Hinsicht auf eine/n Partner/in gemeint ist… am besten noch mit einer Tube Sekundenkleber auf dem Cover.

Deutsche Medien gegen deutsche Interessen

Nun gibt es natürlich auch noch wenige Künstler, die sich in die Selbstvermarktung begeben haben, um sich eben von dem ‘Leitfaden’ der deutschen Musikindustrie zu entkoppeln. Man kann komponieren, wie man es für den Song am geeignetsten meint und arrangieren und produzieren, wie man es für geeignet hält. Beim Mixing kommt dann allerdings spätestens der Punkt der „Radiotauglichkeit“. Denn soweit sind wir in Deutschland ja mittlerweile! Einige Radiosender legen eine unerträgliche Arroganz an den Tag, dass man froh sein muss, dass man für den Radioeinsatz nicht zahlen muss … ist ja nicht so, oder?

Natürlich ist es schon bezeichnend, dass sich die Airplaylisten bei vielen Radiosendern wie die Künstlerliste eines einzigen Labels lesen. Da ist es in der Sendeanstalt auch nicht gewollt, dass solche Playlisten durch selbstvermarktende Künstler gestört werden. Und wenn ein Redakteur/Moderator mal tatsächlich einen Song eines unbekannteren Künstlers gut findet, kann er den ja gerne mal in der internen Montagsrunde vorstellen … also natürlich nur, wenn der unbekannte Song bei einem Majorlabel erschienen ist. Sollte der Song jedoch auf einem eigenen Label des Künstlers veröffentlicht worden sein, darf der Moderator diesen weiterhin gerne hören … auf seinem Handy über In-Ears, oder im Auto, oder beim Bügeln, aber bitte nicht über den Äther schicken, nix da!

Copy & Paste-TV

Und dann haben wir natürlich noch die TV-Welt. Ok, nennen wir es mal mittlerweile TV-Dorf. Eigentlich gibt es ja (neben Andy Borg und saisonalen Peinlichkeiten) nur noch eine TV-Show. Diese allerdings wird dann zur Ablenkung einfach inhaltlich mehrfach kopiert und unter anderen Namen produziert. Damit der Zuschauer sich aber „heimelich“ fühlt, setzt man einfach immer die gleichen Künstler ein, dann hält man die ‘Base’ bei der Stange und alle sind glücklich – also, im Team der Produktionsfirma. Der Künstler selbst wird eh nicht gefragt, interessiert auch keinen!

Der ist doch ohnehin nur ein Dienstleister, der ein Produkt markttauglich vorzustellen hat. Und falls das zu unspektakulär wird, dann macht man einfach mal kurz ein Duett daraus, am besten sogar mit dem Moderator, der dann auch mal ins Playback sprechen darf, sorry, singen, ich meinte natürlich singen!

Verrat am Hofe

Was nun aber wirklich problematisch wird: TV vs. Radio und Labels. Durch die jahrelange Zerstörung der deutschen Musiklandschaft ist das Zusammenspiel zwischen Radio und Label eng zusammen gewachsen – siehe oben. Nun ist es aber leider so, dass die »einzige deutsche Musikshow« im deutschen Fernsehen genau die Zielgruppe bedienen möchte, die von den Radiosendern wie die Cholera gemieden wird. Und genau diese TV-Show ist eng verbandelt mit dem letzten verbliebenen Plattenlabel, was konsequent und ausschließlich die deutsche Musik im Repertoire hielt.

Ungünstig, wenn dann genau diese letzte Bastion nun verkauft wurde – und zwar an eben einen der Globalplayer. Man kann sich an einer Hand abzählen, was in naher Zukunft passieren wird. Die Dominanz der ‘gewollten’ deutschen Künstler wird gestärkt … und die Künstler, die ihre Musik mit Leidenschaft und Herz machen, werden noch weiter an den Außenrand gestellt. Davon ganz abgesehen werden die frischen und unbekannten Künstler schon förmlich soweit gemieden, dass man wahrscheinlich lieber morgens in die Redaktion stürmt und fragt, „ob die Künstlerin XY eigentlich schon tot ist, oder ob man die noch einladen kann?“ Die hat zwar seit 15 Jahren nix mehr gemacht, aber ist doch egal – kennt man ja wenigstens.

Aushungern

Es ist eine Sache des langen Atems. Auf Dauer werden die kleineren Künstler ohne großen finanziellen Background zwangsläufig aufgeben müssen. Kein Marktplatz mehr, keine Radiopräsenz und an TV ist gar nicht zu denken. Und da Streamingdienste permanent versuchen, ihre Abgaben sogar zu minimieren, wird hier keinesfalls ein „ROI” (Return of investment) für den Künstler zu erwarten sein.

Einfach mal ein neues Format etablieren und solchen Künstlern eine Plattform bieten? Ja, ein frommer Wunschgedanke – allerdings munkelt man hinter vorgehaltener Hand, dass die Vergabe der Sendefrequenzen erstaunlich schwierig sein soll…

Ich höre förmlich die Stimmen, die sagen, dass diese Probleme schon seit über 60 Jahren gegenwärtig sind. Ja, das ist richtig – zumindest, was ich aus den letzten 40 Jahren kenne. Allerdings haben es die Medien-„Partner” in den letzten Jahren wirklich so weit perfektioniert, dass die Musik heutzutage weniger Wert als ein Coffee-to-go am Fensterverkauf ist. 1,29€ für einen Download? „Bissu bescheuert, Digga? Kann ich streamen, Du Opfer! So – und jetzt zieh ich mir ’n Burger rein – für 2,99€!”

Fazit

Die deutsche Musik wird systematisch zerbröselt. Die restliche Anzahl an ‘förderungsfähigen’ deutschen Künstler wird sehr übersichtlich werden (bleiben) – und der Rest des Portfolios wird vom Mutterkonzern diktiert, der im Ausland sitzt.

In diesem Sinne – Mahlzeit!

Quelle und Titelfoto: RENÉ DEUTSCHER

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Schlagerprofis – Der Podcast Folge 031

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2 Antworten

  1. Eine (leider) sehr zutreffende Analyse!

    Ein Punkt den ich sehr wichtig finde, wird mit den Schlagerradiosendern angesprochen.

    Ich finde die Playlisten von den privaten Schlagerradios häufig nicht sehr abwechslungsreich. Man hat das Gefühl, dass häufig die Musikplanung direkt von den Labels erfolgt und fertige Playlists bzw. Rotationen übernommen werden. Dass was viele Pop-Radios seit Jahren in Form einer Heavy bzw. Hot Rotation perfektioniert haben ist von privaten Schlagersendern gern übernommen worden. Beispielsweise wurde in den letzten 7 Tagen bei Schlager Radio (ehemals B2) die aktuelle Nr.1 „Alles wird gut“ von Thomas Anders und Florian Silbereisen ganze 28-mal gespielt. Für mich ein Grund warum ich mich mit diesen Sendern noch nicht so richtig anfreunden konnte.

    Im Vergleich dazu ist SWR4 Rheinland-Pfalz ein positives Beispiel. Dort werden aktuelle Airplayhits maximal einmal im Tagesprogramm gespielt. Im Abendprogramm kann das aufgrund von Musikwünschen und Programmübernahme aus Stuttgart (SWR4 Baden-Württemberg) anders sein. Außerdem sind mir dort schon öfters Newcomer oder andere Künstler ohne große Plattenfirma im Rücken aufgefallen.

    Martin W.

  2. Mein allerletzter Kommentar. Dann soll die Deutsche Musik und der Deutsche Schlager eben zu Grunde gehen. Die Branche hat es dann auch nicht anders verdient. Ich kann diesen Fließbandschlager nicht mehr hören. Nur zwei Beispiele. Der Bus kam heute früh vor 6 Uhr mit 5 Minuten Verspätung. Das innnere des Buses war wie die Haltestelle absolut vermüllt und verdreckt. Vor wenigen Tagen bekam mein bester Freund ganz viel Post aus Mitte November 😳😳😳. Dieses Land hat einfach nur noch fertig. Vielen Dank an Rene Deutscher für diese eindeutigen Worte.

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