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HEINZ RUDOLF KUNZE im Schlagerprofis-Interview: „Ich kann es mir nicht leisten, Pazifist zu sein!“

Heinz Rudolf Kunze im Schlagerprofis-Interview

Am vergangenen Samstag machte Liedermacher Heinz Rudolf Kunze mit seinem Soloprogramm Station im ausverkauften Landshuter Rathausprunksaal. Eine gute halbe Stunde vor Konzertbeginn nahm er sich Zeit für ein Gespräch über den Drang, fast täglich mindestens einen Text zu schreiben, sein aktuelles Album „Können vor Lachen“ und seinem neuesten Projekt mit der Big Band der Bundeswehr.

Schlagerprofis.de: Sie erzählen immer wieder, dass Sie jeden Tag Texte schreiben. Wie wählen Sie bei dieser Vielzahl die Texte aus, die Sie für Songs verwenden?

Heinz Rudolf Kunze: Das ist eine naive, sehr berechtigte Frage … Schwer zu beantworten … Die Lieder haben einen langen Vorlauf, bis sie produziert werden und schließlich erscheinen. Ich spiele bei Konzerten grundsätzlich nur Lieder, die schon erschienen sind, keine Lieder, die die Leute nicht kennen können, weil mir bei Liedern wichtig ist, dass es eine gewisse Wiedererkennung gibt. Bei den Sprechtexten ist es natürlich so, dass ich auf aktuelle Entwicklungen und Vorkommnisse der Zeitgeschichte hierzulande oder anderswo reagieren kann und will. Da behandle ich mein Programm eher wie eine Pinnwand, wo ein Text raus- und ein anderer wieder reinkommt. Das ist eine laufende Chronik, die sich immer weiterentwickelt.

Übers Jahr hinaus wird da immer was geändert. Was die Sprechtexte angeht, ist das Programm wie eine Schlange, die sich ständig irgendwie häutet. Die Musik bleibt schon über einen längeren Zeitraum mehr oder weniger gleich. Damit ist Ihre Frage nur teilweise beantwortet. (lacht) Welche wähle ich aus? Da kann ich Ihnen nur ganz naiv und dumm antworten: die, die mir am meisten einleuchten und anspringen, wo ich mir erhoffe, dass die Leute vielleicht ein bisschen kichern können.

Manche Dinge, die ich sage, sind ja sehr herbe und düster, also muss ich aufpassen, dass es gelegentlich auch was zu grinsen und zu lachen gibt, damit die Leute nicht mit völlig gesenkten Häuptern und totenbleich den Saal verlassen. Das muss man bedenken, wenn man so ein Programm zusammenstellt. Das gelingt einem auch nicht immer gleich gut. Manchmal lachen die Leute sehr viel und manchmal sagen meine Leute vom Team: „Da musst Du noch ein bisschen rangehen, das ist ja wieder eine Grabesvorstellung gewesen.“ Im Grunde kann man das nur lernen, indem man es vor Leuten ausprobiert. Die Leute sind es, die mir klarmachen, ob das der richtige Weg ist oder nicht.

Was ist die Intention dahinter, dass Sie sich jeden Tag hinsetzen und einen Text schreiben? Ist das eine Pflicht oder müssen Sie schreiben oder ist das vielleicht eine Art Tagebuch, an dem Sie etwas über sich ablesen können?

Es ist meine Art von Tagebuch. Ein anderes Tagebuch schreibe ich nicht und kenne ich nicht. Es ist nicht in dem Sinne eine Pflicht, dass ich mir ein bestimmtes Pensum vornehme. Es ist eher so, dass ich jeden Tag von Einfällen heimgesucht werde, dass ich das einfach machen muss. Ich bin wie ein Seismograf, eine Antenne, ich verschrifte das nur. Das kommt zu mir, ich suche das nicht.

Ich setze mich nicht morgens um neun vor ein leeres Blatt und warte, sondern ich mache irgendwas, gehe mit dem Hund raus, frühstücke, lese Zeitung und dann kommt das von alleine. Da das eigentlich jeden Tag passiert, öfter auch mehrfach am Tag, werde ich völlig nervös, wenn es mal zwei Tage lang nicht passiert. Nach drei Tagen denke ich: Das war’s und es kommt nie wieder was. Aber das hat es noch nie gegeben.

Obwohl das bei der Vielzahl an Texten, die Sie „auf Halde“ haben, gar nicht schlimm wäre. Aber für Sie wäre es schlimm, wenn Sie wüssten, Sie könnten nicht mehr kreativ sein.

 Ja, das darf nicht abreißen. Das ist dann so ein Gefühl: Der Seiltänzer oben auf dem Seil und auf einmal ist das Seil mitten in der Luft zu Ende. Das ist nicht schön.

Haben Sie heute schon einen Text geschrieben?

Ja, zwei. (lacht)

Können Sie verraten, worum es in den Texten geht? 

Es sind zwei Liedtexte, die im Auto entstanden sind. Einer hat den Arbeitstitel „So und anders“ und arbeitet sich ein bisschen an dem Lied von Purple Schulz „So und nicht anders“ ab. Ich möchte in dem Text sagen, dass das Leben so eindeutig nicht ist. Es ist nicht immer „so und nicht anders“ und „schwarz oder weiß“, sondern oft auch ganz anders, als man nicht gedacht hat. (lacht)

Das zweite ist ein Lied, dessen Titel ich gleich schon mal dreimal unterstrichen habe, weil ich das sehr gelungen finde. Das kommt also schon jetzt in die engere Wahl für das nächste Album. Es gibt zu Hause immer mehrere Haufen: „engere“ und „weitere Wahl“.  Das Lied heißt „So viel erlebt“ und schildert lauter Begegnungen, die ich erfunden habe und die anderen Leuten gar nichts bedeuten würden, aber mir. Ob ich sie gehabt habe oder nicht, ist sekundär.

In den Liedern „Klar hab ich geweint“ und „Die furchtbaren herrlichen Jahre“ auf Ihrem im vergangenen Jahr erschienen Album „Können vor Lachen“ blicken Sie auf Ihr eigenes Schaffen zurück.

Könnte man so sehen, ja. Ich hoffe, dass das so ist, und noch mehr. Also dass viele Menschen das Lied hören und nicht nur denken: Ach, so ist das bei dem Kunze gewesen, sondern auch: Kenn ich, hab ich ähnlich in meinem Beruf, in meinem Schaffen, in meinem Leben erlebt. Ich hoffe immer, dass diese Lieder auch Möglichkeiten bieten, sich als Hörer einzuklinken und zu sagen: Das lag mir auch schon auf der Zunge.

Sie sagen ja auch, dass Sie gar nicht unbedingt wollen, dass Ihre Texte allzu ichbezogen sind.

Ja, ich gehe damit relativ unbefangen um, aber ich lege schon Wert auf die Feststellung, dass vieles erfunden ist. Vieles nehme ich natürlich aus meinem Leben, das ist die erste Erfahrung, die man macht. Vieles ist aber auch gelesen, gehört, aufgeschnappt, ausgedacht. Wenn das alles immer nur unter der Maßgabe gelesen oder gehört wird: Ah, so war das bei dem, dann wäre das ein Missverständnis.

Im Lied „Klar hab ich geweint“ singen Sie, dass Sie bedauern, dass das Publikum manchmal „nur die Hälfte will“.

Schön, dass Sie das gemerkt haben.

Bei welchen Projekten ist das Publikum nicht oder nicht so mitgegangen, wie Sie sich das erhofft hatten?

Das ist eine ganz wichtige und natürlich auch bittere Zeile. Ich glaube, damit stehe ich nicht alleine da. Das kennt fast jeder Kollege, der es mit dem Job ernst meint und nicht nur damit Geld verdienen will. Dass man öfter das Gefühl hat: Das, was Dir selbst am wichtigsten ist, ist nicht das, was die Leute am liebsten von Dir haben. Die Leute haben ein anderes Bild von Dir als Du selbst und bejubeln einen nicht unbedingt für das, was einem selbst am wichtigsten ist. Wie immerhin einer unserer Größten, Frank Zappa, gesagt hat – und der war nun wirklich ein Radikaler in seiner musikalischen Vorstellungswelt: „Man kommt nie zu dem, was man wirklich will.“

Das heißt, wenn es nach Ihnen ginge, müssten Sie gar nicht zig Best-of-Alben oder neue Versionen Ihrer alten Lieder machen, sondern würden immer neue Studioalben machen, weil Sie so viel „auf Halde“ haben.

Ja, natürlich. Ich habe ja schon in der Vergangenheit radikale Flirts mit außergewöhnlicher Musik gemacht. Ich habe nicht nur Liedermacher- oder Singer-Songwriter-Musik gemacht, sondern in den 1990er- und Nullerjahren gab es ja experimentelle Sachen von mir, zum Beispiel diese Zwölfminutennummer auf dem Album „Korrekt“: „Die Peitschen“, ein Song, der nur einem hypnotischen elektronischen Akkord besteht. Das hatte schon eher was mit „Can“ oder „The fall“ aus England oder solchen abgedrehten Bands zu tun als mit deutscher Rockmusik.

Oder mein ganzes Album „Richterskala“ aus der Mitte der 1990er-Jahre: Das hatte mehr mit den „Red Hot Chilli Peppers“ zu tun als mit Konstantin Wecker. Das haben die Leute nicht goutiert. Mir hat’s wahnsinnig viel Spaß gemacht.

Im Lied „Igor“ orientieren Sie sich an dem Schicksal eines einzelnen Soldaten und schildern anhand dessen die Sinnlosigkeit des Ukraine-Krieges. Wie sind Sie auf dieses Lied gekommen?

Ganz einfach: durch Fotos in der Zeitung. In den ersten Kriegsmonaten gingen zwei Bilder um die Welt: einmal dieser junge Russe, der in Kiew wegen Tötung eines Zivilisten zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Dieses Gesicht von diesem Buben, dieses leere, abgestorbene Gesicht ließ mich einfach nicht ruhig schlafen, bis ich dazu irgendwas gemacht hatte.

Das andere Foto war noch berühmter: dieser halbe Bus voller ukrainischer Kindersoldaten, die von den Russen aus Mariupol verschleppt wurden und man weiß bis heute nicht, wohin. Das war einfach eine spontane Reaktion auf zwei Fotos, das musste ich loswerden. Normalerweise geht es nicht immer so schnell, normalerweise muss ich lange warten. Ich habe in der Vergangenheit oft erlebt, dass es hieß: „Jetzt brauchen wir ein Lied gegen Atomkraft, jetzt gegen das Waldsterben!“ Scheiße, fiel mir aber nicht ein. Aber in diesem Fall musste und konnte ich gar nicht anders, als schnell zu sein.

Ihr neues Album „Lauschangriff“, das am 16. November erscheint, haben Sie mit der Big Band der Bundeswehr aufgenommen. Wie passt die Zusammenarbeit mit der Big Band der Bundeswehr mit einem Antikriegslied wie „Igor“ zusammen?

Wunderbar. Die Bundeswehr möchte genauso wenig Krieg wie ich und ist eine Armee mit einem Friedensaufrag. So ist es in der Verfassung verankert. Es ist ihr per Verfassung verboten, Angriffskriege zu führen, sie ist nur zur Verteidigung da, und so, wie die Welt nun mal beschaffen ist, so viele böse Schweine, wie es auf der Welt gibt, kann ich es mir leider nicht leisten, Pazifist zu sein. Das halte ich für heuchlerisch.

Damit sind Sie ganz anderer Meinung als Ihr Freund Reinhard Mey oder Ihres Kollegen Konstantin Wecker, den Sie auch schon erwähnt haben.

Ich bin da, glaube ich, anderer Meinung als mein lieber Freund Reinhard Mey oder mein geschätzter Kollege Wecker. Aber das muss man aushalten, deshalb kann man trotzdem befreundet sein.

Nächstes Jahr gehen Sie zum vierzigjährigen Jubiläum Ihres größten Hits „Dein ist mein ganzes Herz“ nochmal auf Tournee. Soll das auch nochmal eine Art Werkschau sein oder was kann das Publikum von dem Programm erwarten?

Ja, noch mehr als sonst. Jede Tournee versucht ja, den Bogen weit zurückzuschlagen und auch alte Titel mit einzubeziehen, aber beim nächsten Mal ganz besonders: viele beliebte Titel, auch die ganz besonders erfolgreichen, werden zu hören sein. Es wird eine große Party. Die Termine gehen in den nächsten Wochen online.

Interview: Maximilian Lemli

Foto: Simon Stoeckl

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