WDR4

WDR4: Gutachten rät davon ab, Helene Fischer und Andrea Berg zu spielen

Viele öffentlich-rechtliche Sendeanstalten spielen seit geraumer Zeit keine Schlager mehr. Der größte Sender der ARD, der WDR, hat aus seinem einst erfolgreichsten Programm WDR4 einen (provokant gesagt) “Oldie-Dudel-Sender” gemacht – der Verdacht liegt nahe, dass das nun mal einigen Verantwortlichen besser gefällt als aktueller Schlager. Gestützt wurde die Fokussierung auf internationale Oldies zumeist auf dubiose Umfragen – wer aber hinterfragt, welches Marktforschungsinstitut denn zu der Erkenntnis kommt, dass die WDR-Hörer z. B. Helene Fischer nicht hören wollen, bekam bislang keine Antwort.

Rundfunkrat gibt Bewertung der letzten Programmreform in Auftrag

Unfassbar erfolgreiche Schlagerveranstaltungen wie die Schlagernächte, die regelmäßig auch in NRW sensationell erfolgreich sind, oder Stadionkonzerte von Koryphäen wie Helene Fischer und Andreas Gabalier haben den WDR-Rundfunkrat aber anscheinend doch stutzig werden lassen. Da die Programmverantwortlichen die knifflige Frage, ob es in NRW Helene-Fischer-Fans gibt, natürlich mangels eigener Sachkompetenz anscheinend nicht selber beantworten können, haben sie, bzw. besser gesagt der Rundfunkrat, eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben. Auftragnehmer waren „die Netzberater“, namentlich Prof. Dr. Konrad Scherfer und Prof. Dr. Helmut Volpers. Titel der Studie: „Evaluierung der Programmreformen von WDR2 und WDR4“. Für die, die es nicht wissen: „Evaluierung“ ist das Professoren-Wort für „Bewertung, Beurteilung“.

Beleuchtung deutscher Schlagermusik bei WDR4

Den geneigten Schlagerfan interessiert in dieser Studie folgender Aspekt, der zu begutachten war: Ein Wunsch des WDR-Rundfunkrats ist es, die deutsche Schlagermusik bei WDR 4 näher zu beleuchten.“ Hier haben sich Gutachter „schlau gemacht“ und eruiert, was ein Schlager ist. Hierzu wurde „musikwissenschaftliche Literatur“ bemüht. Gemeint sind damit die Bücher aus 2008: „Die 100 Schlager des Jahrhunderts“ und aus 2010: „Schlager! Eine musikalische Zeitreise von A bis Z“. Auf Basis dieser Bücher, als es z. B. das Phänomen Helene Fischer und ausufernde Schlagernächte noch nicht in der Form gab (das heißt, der heutige Boom war noch nicht erkennbar), konnten die Gutachter vier verschiedene Arten von Schlagern ausmachen – hier wird die Reihenfolge übernommen:

1. Volkstümlicher Schlager (mit Bezug zur volkstümlichen Musik) – als Beispiele dienen Heino, die Kastelruther Spatzen, Stefanie Hertel und die Wildecker Herzbuben.

2. „Schlagernacht“-Schlager (Party-Interpreten, die bei den „Schlagernächten“ auftreten). Als Beispiel werden folgende Interpreten aufgeführt: Helene Fischer, Semino Rossi, DJ Ötzi, Claudia Jung, Andrea Berg, Roland Kaiser, Fantasy, Matthias Reim, Wolkenfrei, Michelle, Jürgen Drews, Andreas Martin, Laura Wilde, Ross Antony, Andreas Gabalier, Anna-Maria Zimmermann, Nik P., Roland Kaiser und Maite Kelly.

“Kleiner Hinweis: Die Rede ist hier tatsächlich von “Wolkenfrei”, obwohl sich Vanessa Mai längst umbenannt hat – ob das für die Sachkompetenz eines teuer in Auftrag gegebenen Gutachtens spricht, möge jeder für sich beurteilen.*

3. Retroschlager (Kultschlager)
(Interpreten, deren Glanzzeit in den 1970er Jahren lag). Beispiele: Katja Ebstein, Christian Anders, Howard Carpendale, Costa Cordalis, Roy Black, Mireille Mathieu)

4. Deutschpopschlager (erweiterter Schlagerbegriff). Hier werden allen Ernstes folgende Interpreten als „Schlager“sänger apostrophiert: Heinz-Rudolf Kunze, Pe Werner, Annett Louisan, Rosenstolz, Klaus Lage, Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg, Pur, Nena, Karat, Reinhard Mey, Max Giesinger, Xavier Naidoo, Andreas Bourani, Christina Stürmer, Ich & Ich, Adel Tawil.

Interne Unterlagen bezüglich Musikpräferenz „nicht völlig transparent“

In der „Evaluierung“ wird erwähnt, dass der WDR bei mindestens einer dieser Schlagerdefinitionen interne Forschungen angestellt hat – Zitat: Interne Unterlagen zeigen, dass die Musikpräferenzen bei Hörern abgefragt wurden – auch Titel aus der Kategorie der „Schlagernacht“. Was mit diesen internen Unterlagen genau gemeint ist, wird im späteren Verlauf der Untersuchung beschrieben. Demnach hat ein so genannten „WDR-Tracking“ ergeben, dass bei WDR4 die „Musik deutlich besser“ geworden sei. Wer daran zweifelt und das gerne belegt haben möchte, wird enttäuscht. Zitat: Diese Befunde sollen aufgrund der für die Gutachter nicht völlig transparenten Erhebungsmethode nicht überbewertet werden. Sehr nett formuliert: „nicht völlig transparente Erhebungsmethode“… – ohne Worte…

Fazit: Helene Fischer, Andrea Berg und andere Topstars führen zu „Abschaltimpuls“

Wie dem auch sei – zu welchen Empfehlungen kommen die Gutachter? Auch hier soll ein Zitat Aufschluss geben: „Die Akzeptanzuntersuchung zeigt, dass gegenwärtig die Musikfarbe auf erhöhte Zustimmung stößt. Somit spricht aus Gutachtersicht nichts dagegen, den Anteil dieser Retroschlagerinterpreten moderat zu erhöhen. Ein Zuwachs dieser Titel würde das WDR 4-Musikkonzept nicht rückgängig machen. Von einer Ausweitung der Schlagerausrichtung auf volkstümliche Schlager oder ‚Schlagernacht‘-Titel ist abzuraten. Denn diese beiden Schlagergenres sind nicht programmkompatibel (folgt man dem aktuellen Musikkonzept). Ein Umschalt- oder Abschaltimpuls wäre wahrscheinlich.

Mit anderen Worten: Bei Helene Fischer, Andrea Berg, Gabalier und Vanessa Mai (entschuldigung: Wolkenfrei, um die Nomenklatur des Gutachtens zu bemühen) schalten die Leute ab. Bei den “Schlagersängern” Heinz-Rudolf Kunze und Xavier Naidoo hingegen nicht (was Reinhard Mey und Herbert Grönemeyer dazu sagen, wenn sie als “Schlagersänger” bezeichnet werden, hätten die Gutachter ja vielleicht auch mal in der Musikliteratur ergründen können…) – . Begründet wird das mit einer „Akzeptanzuntersuchung“, die die Gutachter höchstselbst als „nicht völlig transparent“ bewerten und deshalb „nicht überbewerten“ wollen, wobei – nochmal – die Schlagerkenntnisse der Gutachter sich auf Literatur stützt, die mindestens älter als 8 Jahre ist.

Carpendale und Kaiser sollten sich als „Retroschlager“-Interpreten bezeichnen…

Manchmal ist ein Blick in die Lebenswirklichkeit vielleicht hilfreicher als veraltete Musikliteratur und Professorentitel – die Behauptung, dass bei Namen wie Helene Fischer, Andrea Berg, Andreas Gabalier und Konsorten ein „Abschaltimpuls“ bei den Hörern veranlasst wird, ist gelinde gesagt gewagt. Noch spannender wird es bei Namen wie Howard Carpendale, Roland Kaiser und Marianne Rosenberg. Die veranlassen einerseits einen „Abschaltimpuls“, weil sie in den Schlagernächten auftreten – sind andrerseits aber programmkompatibel, weil sie ja auch für die „Retroschlager“-Rubrik stehen.

Kurbelt der Radioboykott den Plattenverkauf an?

Dennoch bietet diese hoch „kompetente“ Studie auch Schlagerfreunden einen Mehrwert – denn: Würde der Schlager momentan so einen Boom erleben, wenn Sender wie WDR4 ihn nicht mit aller Gewalt „mundtot“ machen wollten? (Zur Erinnerung: Fünf der Top-10 Alben des ersten Halbjahres stammen aus dem Schlagersegment, dabei haben wir noch nicht einmal das Maffay-Album hinzugezählt, das hier ja vielleicht als „Deutschpopschlager“ durchgehen würde). (siehe hier: http://schlagerprofis.de/halbjahresauswertung-der-offiziellen-charts-fuenf-schlageralben-in-den-top-10 – Vielleicht sind die Verkaufszahlen ja genau deshalb so gut, weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk seinem Auftrag nicht entgegenkommt.

Zielgruppe: „Über 50-jährige zurückgezogene Hörer – 89 Prozent ohne Schulabschluss“

Und wenn man sich die Zielgruppe von WDR4 ansieht, darf der geneigte Schlagerfan zufrieden sein, weil DAMIT will sich nicht unbedingt jedermann identifizieren. Die Zielgruppe wird nämlich allen Ernstes wie folgt im vorliegenden Gutachten definiert: „Die WDR 4-Zielgruppe besteht aus „Bescheidenen“, „Zurückgezogenen“, „Häuslichen“und „Traditionellen“ im Alterssegment von über 50 Jahren. Die formale Bildung ist dadurch gekennzeichnet, dass 89 Prozent der Hörer keinen Abiturabschluss haben.“ Mit anderen Worten passt moderne Schlagermusik nicht zu (überspitzt gesagt) verblödeten und verklemmten Spießern –diese Zielgruppe hört nach meinung des Gutachtens lieber internationale Oldies und “Schlager” von Udo Lindenberg.

Welcher private Schlagersender erkennt die Marktlücke?

Vor diesem Hintergrund stellt sich nur noch eine Frage: Wer bedient in NRW und anderen Bundesländer die Hunderttausenden von Schlagerfans, die eben NICHT „häuslich, bescheiden und traditionell“, sondern modern und aufgeschlossen leben? Schlagerparadies, Radio Paloma, B2 und DMR – übernehmen Sie!

Quelle: (*Das Gutachten kann via Downloadlink geladen weren*)

https://www1.wdr.de/unternehmen/rundfunkrat/pressemitteilung-122.html

 

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Die erste Musik der SCHLAGERPROFIS. Name des kommenden Hits: “Anna’s Playin’ On Repeat”…

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3 Antworten

  1. Im Gutachten ist die Rede davon, dass 89 Prozent der Zielgruppe “keinen Abiturabschluss” haben sprich: nicht das Gymnasium bis zum Ende der 12. oder 13. Klasse besucht haben. Diese haben dann aber großteils entweder die Mittlere Reife oder einen Hauptschulabschluss.

    In der Zwischenüberschrift wir daraus, aus den 89 Prozent ohne Abitur, “89 Prozent ohne Schulabschluss”.

    Vielleicht sollte der Autor auch nochmal die Schulbank drücken, wenn er nicht zwischen Abitur und Schulabschluss unterscheiden kann.

    Abitur bedeutet Abschluss der gymnasialen Oberstufe. Das heißt aber noch lange nicht, dass so jemand “keinen Schulabschluss” hat!!!

    1. Der Hinweis mag richtig sein, das ist offensichtlich ein Irrtum, der aber keinen Deut an der Kernaussage des Artikels ändert. Und ich musste erst überlegen, was mit “…wir draus, aus den…” gemeint ist – gemeint ist offensichtlich -> “…wird aus den 89 Prozent ohne Abitur…” – also bitte wenn man es so genau nimmt auch selber etwas mehr auf Korrektheit legen…

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