Udo Jürgens Schlager

UDO JÜRGENS: „da capo“ in Kempten – würdige Hommage für die große Masse

UDO JÜRGENS: „da capo, Udo Jürgens“ in Kempten: Würdige Hommage für die große Masse

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Zehn Jahre ist Udo Jürgens‘ Tod nun schon her. Seine Lieder, seine Musik und seine Antworten auf gesellschaftliche Probleme fehlen. Immerhin gibt es derzeit eine Möglichkeit, ihn wieder „live“ zu erleben: Die Show „da capo, Udo Jürgens“ zeigt den wohl größten Entertainer des deutschsprachigen Europas auf der Leinwand beim letzten Konzert seiner letzten Tournee „Mitten im Leben“ in Zürich – genau zwei Wochen vor seinem Tod.

Im Gegensatz zur durch ständige Kameraschnitte, miese Tonqualität und weggeschnittene Moderationen verstümmelten DVD liegt der Fokus nun voll auf Udo Jürgens. Man sieht ihn nicht nur singen und Klavier spielen, sondern auch seine Musiker beobachten, die noch einmal für ihn spielen. Seine Musiker sind natürlich die vom 23-köpfigen Orchester Pepe Lienhard, die 32 Jahre lang jede Orchestertournee mit Jürgens bestritten haben. Unter die vielen bekannten Gesichter haben sich jedoch auch ein paar neue Musiker gemischt.

Aber bevor Jürgens in der fast ausverkauften bigBOX Allgäu in Kempten auf der Leinwand erscheint, wo der Star selbst bis zu seinem Tod häufig aufgetreten ist, spielt das Orchester zunächst ein Opening mit seinen großen Hits. Hier hätte man auf die „Ouvertüre“ aus der Tournee „Einfach ich“ (2009) zurückgreifen können, aber die Lieder wurden neu zusammengestellt und arrangiert. Dann endlich erscheint der Star des Abends zu den Klängen von „Hautnah“ auf der Bühne und dirigiert sein Orchester. Zwar tut der damals 80-Jährige dies nicht mehr mit der Intensität früherer Jahre, es wirkt eher wie eine Pose, doch seine Stimme hat immer noch eine enorme Kraft.

Leinwand schafft Illusion

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Es braucht etwas Zeit, um sich an das Konzept zu gewöhnen.  Wer nur auf die Leinwand schaut, kann sich die Illusion bewahren, Jürgens sei leibhaftig auf der Bühne. Doch diese Illusion wird jäh zerstört, als Moderator Karim Khawatmi auf die Bühne kommt, der im Musical „Ich war noch niemals in New York“ lange die Hauptrolle spielte. Seine auswendig gelernten, an Theatermonologe erinnernden Moderationen wirken geschleimt und schmierig. Bandleader Pepe Lienhard erzählt kurz von seinen Anfängen als Musiker, dazu werden Fotos aus seiner Jugend eingeblendet.

Endlich erscheint Jürgens wieder auf der Leinwand und singt „Alles aus Liebe“ aus seinem letzten Album. Wenn er beim instrumentalen Zwischenspiel schreit: „DAS ORCHESTER PEPE LIENHARD!“, erinnern sich sicher viele Zuschauer an besondere Konzerterlebnisse, bei denen der Entertainer mit seiner Bühnenpräsenz verblüffte. Das autobiografische „Ich würd‘ es wieder tun“, in dem der Musiker Bilanz über sein Leben zieht, ist sicher das berührendste Lied der ersten Konzerthälfte.

Moderator erweist sich als Störfaktor

Nach „Der Mann ist das Problem“ tritt Khawatmi wieder auf, singt das Lied „Frauen“ an und bittet Dorothea Lorene auf die Bühne. Sie sang ab 2006 bei fast allen Tourneen „New York, New York“. Doch zunächst interpretiert sie gemeinsam mit Jürgens, wie auf der letzten Tournee, „Ich will, ich kann – I can, I will“.

Im Gespräch mit dem Moderator reiht sie den Star des Abends in die Riege der Weltstars, mit denen sie auf der Bühne stand, und hebt sein Charisma hervor: „Man hat ihm jedes Wort geglaubt.“ Das lässt sich von Khawatmi nicht behaupten, der nun zu allem Überfluss ein Medley von Udo-Jürgens-Liedern interpretiert. Das macht er nicht schlecht, aber es hat nichts mit dem Motto des Abends zu tun.

Um die neue CD „udo 90“ zu promoten, die es neben Bademantel sowie anderen Textilien und Fanartikeln im Foyer zu kaufen gibt, erklingt das darauf zum ersten Mal veröffentlichte Lied „Als ich fortging“ aus dem Jahr 1985. Während das Orchester live spielt (interessanterweise mit Schlagzeugbegleitung, die von Produzent Curt Cress aus dem Originaldemo gelöscht wurde), werden auf der Leinwand Bilder von Jürgens gezeigt.

Auch von der 2012 veranstalteten Tournee „Der ganz normale Wahnsinn“ werden Aufnahmen verwendet. Leider gibt es das aufgezeichnete Abschlusskonzert aus Berlin bis heute nicht auf DVD oder digital. Zu Lebzeiten hieß es, in der Halle sei es „zu dunkel“ gewesen.

Die Aufnahmen von „Mein Bruder ist ein Maler“ beweisen das Gegenteil: So schwungvoll Jürgens dabei dirigiert, so innig er das Lied interpretiert, zeigen die Aufnahmen doch auch, wie stark Jürgens in den zwei Jahren danach gealtert ist. Auf den Aufnahmen von 2014 wirkt sein Gesicht aufgedunsen und seine Bewegungen wesentlich zurückgenommener als noch zwei Jahre zuvor. Auch aus dem Publikum, das vor allem auf dem Rang hauptsächlich jenseits der 50 ist, heißt es in der Pause mit Blick auf das letzte Konzert: „Da sah er ganz schön alt aus.“

Neue Färbungen, ausufernde Soli

Die neue Chorsängerin Julia Schiwowa interpretiert mit Jürgens „Immer wieder geht die Sonne auf“ in der Version von 2014. Sie ist eine klassische Sopranistin, während seine damalige Duettpartnerin Stefanie Suhner dem Song eine jazzige Note gab. Es folgen „Tausend Jahre sind ein Tag“ mit ausufernden Soli der langjährigen Orchestermusiker Billy Kudjoe Todzo (Percussion) und Peter Lübke (Schlagzeug), die von Jürgens persönlich vorgestellt und gewürdigt werden.

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Wie kraftvoll Jürgens 2012 noch war, zeigt auch seine Interpretation von „Ein ehrenwertes Haus“, an dessen Schluss er das Orchester schreiend dirigiert – wie in alten Zeiten. Die getragene Fassung von „Griechischer Wein“ aus dem letzten Konzert berührt, wird in ihrer Wirkung aber von Khawatmi gleich zunichte gemacht, als er das Publikum kurz vor der Pause zum Mitsingen animiert.

Schon wieder eine verzichtbare Interpretation des Moderators

„Das Leben bist Du“ eröffnet die zweite Konzerthälfte. Anschließend vergreift sich Khawatmi an „Schenk‘ mir einen Traum“, das Jürgens 2012 im selben Arrangement spielte. Warum wurden nicht einfach diese Aufnahmen verwendet, anstatt den Moderator schon wieder als Sänger einzusetzen?

Wenn es gleich danach Richtung New York geht, ist der Zuschauer versöhnt. Kent Stetler und Dorothea Lorene singen wie vor zehn Jahren „How about you?“ und „New York, New York“. Besonders berührend ist der Moment, als Jürgens sich danach wieder ans Klavier setzt. Erst auf der großen Leinwand und mit dem Fokus auf ihn fällt auf, wie berührt Jürgens beim Singen gewesen sein muss. Begleitet er sich zu den Zeilen „Dann steckte er die Zigaretten ein …“ sonst ganz normal am Klavier, hat er bei seinem letzten Konzert vor lauter Schluchzen Mühe, auch nur Akkorde zu greifen. Immer mehr verfestigt sich die Mutmaßung, dass er seinen Tod in gewisser Weise vorausahnte.

Udo Jürgens immer wieder gerührt

Überhaupt hat er bei diesem Konzert immer wieder glasige Augen und wirkt sehr berührt. Das zeigt sich auch bei „Der gekaufte Drachen“, das er in seinen letzten Jahren immer wieder im Programm hatte und das doch immer wieder berührte. Bei „Ich bin dafür“ zeigt er sich dann wieder kämpferisch und beeindruckt mit seiner leidenschaftlichen Performance.

Mit ihrer Interpretation von „If I never sing another song“, das unter anderem von Sammy Davis jr. gesungen wurde, erinnert Dorothea Lorene daran, dass Jürgens Weltstars für internationale Superstars komponiert hat. Natürlich muss der Moderator dazu die vom Star selbst immer wieder erzählte Mär auftischen, Frank Sinatra habe das Lied jahrelang in seiner Schublade gehabt, bis ihn sein Freund Sammy Davis jr. um einen guten Abschiedssong gebeten habe.

Lorenes Gesang und die Orchesterbegleitung sind Weltklasse, haben jedoch in diesem Programm eigentlich nichts verloren. Das gilt noch viel mehr für den Chor, der „Merci chérie“ auf schreckliche Weise verkitscht. Kaum zu glauben, dass Jürgens’ letzter, eigentlich großartiger Arrangeur Jörg Achim Keller dafür verantwortlich sein soll. Zum Glück ist der Chor für den Rest des Abends fast unhörbar abgemischt und kann nicht noch mehr Unheil anrichten.

Konzert endet mit den Hits

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Mit den Hits „Aber bitte mit Sahne“ (aus der Tournee 2012) und „Mit 66 Jahren“ (vom letzten Konzert), bei denen Khawatmi mitsingt, und „Mitten im Leben“ endet der offizielle Teil des Konzertes, bei dem ein paar Fans zaghaft an die Rampe gehen.

Doch als sich das Orchester schon verabschiedet hat, kehrt Jürgens zurück auf die Bühne und singt im Bademantel ein letztes Mal ein paar Hits. Als er das Publikum zum Refrain von „Liebe ohne Leiden“ dirigiert, verschwimmt sein Bild und löst sich in einem Wolkenhimmel. Mit seiner sich langsam aufbauenden Unterschrift ist der Kreis geschlossen.

So endet ein bewegender Abend, der Udo Jürgens in seinen besten Momenten noch einmal lebendig gemacht hat. Auch zehn Jahre nach seinem Tod beeindruckt und berührt der Entertainer mit der Intensität, die seine Auftritte ausgezeichnet hat. Doch auch sein Altern, das sich vor allem im Vergleich zwischen den Aufnahmen von 2012 und 2014 zeigt, offenbaren die Macher dem Publikum. Das Orchester spielt großartig dazu, Pepe Lienhard bekommt immer wieder im Gespräch die Möglichkeit, seinen langjährigen Freund zu würdigen.

Entbehrlicher Moderator, Fokus auf den Hits

Der einzige wirkliche Störfaktor ist der Moderator, der mit seinem Erscheinen jedes Mal die Illusion des wieder lebendigen Udo Jürgens zunichte macht und sich an seinen Liedern vergreift. Es wäre besser gewesen, ein stringentes Konzerterlebnis zu schaffen, das allein von Udo Jürgens‘ Präsenz getragen ist. Dazu hätten die Macher eines der beiden Konzerte in voller Länge aufführen können.

Die Stimmung ist bei diesem Tribute-Konzert andächtiger als bei früheren Udo-Jürgens-Konzerten – schon deshalb, weil der Star auf der Leinwand natürlich nicht auf sein Publikum reagieren kann und seine Moderationen im Applaus leicht untergehen könnten.

Dass das Programm, abgesehen von ein paar gesellschaftskritischen Liedern, den Fokus auf die Hits legt und nicht wenigstens eines der Jürgens zeitlebens so wichtigen sinfonischen Werke gespielt wird, ist schade, aber verständlich.Denn der Star, der mit diesen Liedern selbst die zu begeistern wusste, die nur wegen seiner Hits gekommen waren, lebt nicht mehr. So bleibt „da capo, Udo Jürgens“ eine Hommage für die große Masse – aber immerhin eine würdige, solange man vom singenden Moderator absieht.

Text und Fotos: Maximilian Lemli

 

 

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Schlagerprofis – Der Podcast Folge 058

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