Michelle Anders ist gut Rezension

MICHELLE: Ausführliche Schlagerprofis-Besprechung zu “Anders ist gut”

Vorgängeralbum “Tabu” hat Maßstäbe gesetzt

Rund zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis Schlagerqueen MICHELLE sich zurückgemeldet hat. Das hat auch einen Grund – sogar mehrere. Zum einen hat das mit Gold ausgezeichnete Vorgängeralbum „Tabu“ Maßstäbe gesetzt – kommerziell überaus erfolgreich und von Fans in den Himmel gelobt. Dieses Niveau zu halten, ist natürlich nicht einfach aus der Hand zu schütteln, zumal auch administrativ Handlungsbedarf da war, weil MICHELLE das Management gewechselt hat.

Auf den Spuren von SARAH CONNOR und HELENE FISCHER

Mit einem spannenden Konzept ist MICHELLE nun wieder da. Anders als bei den letzten Alben wurde die brandneue CD von einem Produzenten- und Autorenteam begleitet. Man muss nun sagen: Hier ist kein DIETER BOHLEN, kein FELIX GAUDER oder kein MICHAEL DORTH am Werk – mit PETER PLATE und ULF LEO SOMMER hat sich MICHELLE für ein Produzenten- und Songautorenteam entschieden, das auf internationalem Level arbeitet und auch außerhalb des Schlagers mit extrem erfolgreichen Acts wie SARAH CONNOR und HELENE FISCHER arbeitet – und das hört man auch.

Die Besprechung “Track By Track”

Song Nummer 1 untermauert MICHELLEs auf Instagram kommunizierte Selbsteinschätzung: „Vollblutentertainerin des deutschen Schlagers“. Die Sängerin haute mit „VORBEI VORBEI“ die wirklich passende erste Single raus – der Dance-Song ist eingängig, kommerziell produziert und begeistert die Fanbase. Auch wenn es für manchen Herren natürlich bitter ist zu hören, wenn die Herzdame den Schlussstrich zieht und klar kundtut – es ist „vorbei vorbei“…

Wir wissen zwar nicht, ob sie CHRISTIAN oder THOMAS meint – aber klar ist für MICHELLE: „Anders ist gut“. Scherz beiseite, der Titelsong von MICHELLE ist Programm. Die Künstlerin setzt sich einmal mehr als Botschafterin der Toleranz Andersdenkenden gegenüber ein. Und dass sie gerade in der Gay-Community viele Fans hat und denen damit „Futter“ gibt, dürfte klar sein.

Musikalisch erinnert die Hammernummer „Killeraugen“ einige Fans im Refrain an „Wovon wollen wir träumen“ von FRIEDA GOLD. Ein Dance-Pop-Schlager, in dem MICHELLE beweist, dass „frau“ auch mit 48 Jahren eine Sexgöttin sein kann – diesen Eindruck transportiert ihr neuer eingängiger Song („Jetzt stehst du mit deinen Killeraugen hier – Dann sagst du: Gehen wir zu dir oder zu mir ?“).

Mit „C’est la vie – so ist das Leben“ liefert MICHELLE einen tollen lockeren sommerlichen Uptempo-Song ab. Stampfender Rhythmus mit Akustik-Gitarre und Hymnenchören – so muss es bei optimistischen Songs sein: „C’est la vie – so ist das Leben. Mal geht’s gut und mal daneben“. Diese Weisheit ist nun wirklich nicht neu, aber auch dieses Thema gestaltet MICHELLE unter ihr Motto „Anders ist gut“. Einige Fans sehen eine Ähnlichkeit des Songs zu KYLIE MINOGUEs „Stop Me From Falling“.

Immer mal wieder greift MICHELLE biografische Themen auf – ihre Vergangenheit hat sie in Liedern wie „Hallo Tanja“ bemerkenswert aufgegriffen. Wie es kam, dass MICHELLE zu singen begann und warum sie dabei bleibt, beschreibt sie bemerkenswert in der Ballade „Ich zieh’ das jetzt durch“. Gerade auf diesem Lied („Weil ich mir nur gehöre“) klingt ihre Stimme kratziger und gleichzeitig zerbrechlicher als sonst – der glockenklare Sopran von „Und heut Nacht will ich tanzen“ scheint Geschichte zu sein.

Ungewohnte Handclaps sind auf Song sechs zu hören. Das deutsche Ohr ist den „Offbeat“, wie wir ihn sonst eher bei Gospelsongs kennen, nicht gewohnt: Die Klatschgeräusche sind auf die Zählzeiten 2 und 4 gelegt – passend zum internationalen Charakter des Songs. In dem Aufbruch-Song „Ich liebe dich nicht mehr“ geht es um eine beendete Beziehung, nach der MICHELLE „endlich wieder Luft“ kriegt. „Was besseres als dich finde ich allemal“ – die Sängerin gibt einmal mehr die emanzipierte Frau mit einer tollen Uptempo-Nummer. Unmissverständlich klärt sie, dass Schluss ist – und zwar ohne „Hinterherheulen“.

Wer meint, im Song „Comeback“ ginge es um MICHELLEs Rückkehr an die Öffentlichkeit, liegt falsch. Vielmehr geht es um die Rückkehr eines Partners, der „nie ganz weg“ war – was passiert? -> „Der Wahnsinn fängt wieder an“. – MICHELLEs Entdeckerin KRISTINA BACH hat in einer TV-Dokumentation einmal zwei Erfolgsfaktoren für einen Hit gemacht: Der deutsche liebt Marschmusik – Betonung also (anders als auf dem vorherigen Song) auf 1 und 3. Und – noch wichtiger – eine stimmige Hookline. Beide Faktoren sind bei „Comeback“ gegeben – auch dieser Titel toll produziert, und am Schluss hören wir auch mal wieder ein langes „hohes i“: „Wir haben uns so geliiiiiiiiiebt“ – klasse!

Dann werden uns die Sterne leuchten“ – in diesem Lied geht es inhaltlich um die Dankbarkeit dem Partner gegenüber, der gerade in turbulenten Zeiten an der Seite dabei ist. Wie international auch dieser Titel produziert ist, erkennt man an den vielfachen Vergleichen mit dem Riesenhit „Salt“ von AvaMax. Sorry, die Ähnlichkeiten sind teilweise auch nicht von der Hand zu weisen. – Wobei die Akkordeonklänge in diesem Electrosong ein toller Kontrast sind.

Ein wenig schlagertypisches Thema ist „Heldin“. Hier geht es um Gewalt in der Familie – eine Erfahrung, die auch MICHELLE widerfahren ist. „Sie wollt’ nie ne Heldin sein – jetzt ist sie stark für zwei“ – eine gelungene Hommage an starke Frauen und insbesondere Mütter, die in schlimmen Krisenzeiten für ihre Kinder „ihren Mann stehen“.

Du hast mich um meine Kindheit betrogen“ – ein Satz, wie man ihn ebenfalls in einem Schlager nicht erwartet. Der emotionale und persönliche Song „Brief an meinen Vater“ hat autobiografischen Hintergrund und geht unter die Haut. Vor allem die immer wieder nicht gehaltenen Versprechen des Vaters, die dazu führen, dass „Tränen ganz alleine ins Kissen geweint“ werden – das war sicher eine schlimme Zeit für eine Künstlerin, die nun aber „vergeben“ will und das Thema zum Abschluss führen will – wohl wissend, dass in der Kinderzeit entstehende Fehler später wohl nie mehr gutzumachen sind. Dennoch legt MICHELLE Wert auf die Feststellung, dass das Lied „keine Abrechnung“ sei. – Mit akustischen Instrumenten (Gitarre, Streicher) wird dieser melancholische Titel zu einem echten Highlight.

Wie „Brad Pitt & seine Jennifer“ – so lernt sich ein Paar kennen, schnell ist ein Kind da – und im Lauf der Zeit kehrt dann offensichtlich Alltag ein – die „Waschmaschine“ wird angestellt. Das, was UDO JÜRGENS mit „Bohnerwachs und Spießigkeit“ beschrieben hat, stellt MICHELLE in der langsamen Nummer „Thelma & Louise“ vor. „Irgendwann wird sie gehen“ – mit diesen Worten schließt der nachdenkliche Song, der erneut sehr üppig instrumentalisiert und arrangiert wurde.

Als man mich fallen ließ, da hab ich fliegen gelernt“ – das ist sicher eine wichtige Zeile im Uptempo-Song „Mein Wunder“.  „Wenn ich fall, mach ich weiter“ – darum geht es im gefällig arrangierten Song mit schönen Chören. In diesem Lied ist erneut herauszuhören, dass MICHELLE wieder einmal bereit für einen Richtungswechsel ist – diese stetige Wandlung und dieser ewige Blick nach vorne, das macht die Künstlerin aus und das macht wohl auch ihren Erfolg aus.

Die normale Version von „Anders ist anders“ schließt mit „Es tut mir leid“, einem selbstreflektierenden Song, in dem MICHELLE selbstkritisch auch eigene Fehler eingesteht. Dieser Song könnte sehr gut beim Adventsfest der 100.000 Lichter eingesetzt werden – mit den Golden Voices Of Gospel – der Titel endet mit Pathos, mehrstimmig im Chorsatz gesungen. Außerdem lässt MICHELLE – wenn man das so sagen darf – ganz schön die Hose runter mit Textzeilen wie „Ich bin oft schwierig, auch für mich – Und ich tu mir selber weh“ – welcher Star noch dazu aus der Schlagerszene ist mutig genug, solch intime Texte zu singen?

Deluxe-Version

Mit „Frei“ gibt es in der Deluxe-Version dann doch einen etwas schlageresken Titel im Countrysound auf die Ohren. Ein erneut positiv gestimmter Titel („Wenn die Welt untergeht, hab ich wenigstens gelebt“ – typisch für MICHELLEs Lebenseinstellung). Einmal mehr macht MICHELLE die Wichtigkeit zum Thema, sein Leben frei und individuell gestalten zu können – das geht nach Meinung der Sängerin mit dem Wechsel des Lebenspartners einher.

Mit Harmonika arrangiert und fast wie ein Chanson klingt der zweite Bonustrack der Deluxe-Edition: „Verdammter Sommerregen“, der beschwingt daherkommt.

Auf der Deluxe Edition folgen noch einige spezielle Versionen. Großes Kino ist etwa die „Hollywood Version“ von „Vorbei vorbei“ mit Pianoklängen und Streichern – das gibt dem Lied noch mal eine neue Sichtweise. Auch die „MTV Unplugged“-Version – oder wie MICHELLE es nennt „La Boum Version“ von „Comeback“ mit lässigem jazzigen Bassgezupfe – das hat schon was. Auch die „4 Uhr Version“ von „Killeraugen“ hat was von Kammermusik – ausgedünnt mit Piano und später erneut Streichinstrumenten wirkt auch MICHELLEs Stimme intimer.

Wer erinnert sich noch an die „Chacka Chacka“-Musik bei der legendären RTL-Show „Alles nichts oder?!“ – genau in dem Stil ist die „Cuba Libre Version“ mit gezupftem Bass, Akkordeon und Gitarre von „Dann werden uns die Sterne leuchten“ gehalten – sehr schön und vor allem ein Beweis, dass der Song weit mehr Potenzial hat, als ein Ava Max-Abziehbild zu sein.

Die Drama-Version von „Ich liebe dich nicht mehr“ ist erneut so etwas wie eine MTV Unplugged Version des Liedes und gibt dessen Inhalt noch ein mal intimer zum Ausdruck. Und die „Savignyplatz Version“ von „C’est la vie – so ist das Leben“ ist so etwas wie eine Bossa-Nova-Version des Songs.

Ltd. Deluxe-Box

Die „Ltd. Deluxe“-Box beinhaltet darüber hinaus die Highlights der letzten umjubelten „Tabu“-Tour von MICHELLE mit folgenden tollen Songs, die sowohl als CD als auch als DVD enthalten sind:

01. Intro (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
02. Lass sie doch reden (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
03. Tabu (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
04. Große Liebe (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
05. Und heut Nacht will ich tanzen (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
06. Traumtänzerball (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
07. Die Liebe kommt niemals aus der Mode (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
08. Wir feiern das Leben (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
09. In 80 Küssen um die Welt (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
10. Meine Welt (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
11. Ich tanz dich einfach weg (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
12. Das Hotel in St. Germain (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
13. Wer Liebe lebt (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
14. Du Idiot (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
15. Nicht verdient (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
16. Paris (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)
17. Es gibt dich (TABU LIVE – DIE HIGHLIGHTS)

Hier kommen insbesondere die „traditionellen“ MICHELLE-Fans auf ihre Kosten. Klassiker wie ihr allererster Hit „Und heut Nacht will ich tanzen“ und „Wer Liebe lebt“ fehlen ebenso wenig wie Superhits wie „In 80 Küssen um die Welt“ und „Paris“.

Fazit

Mit „Anders ist gut“ beweist MICHELLE, dass sie zu ihren Texten steht – ja, ihr neues Album ist anders. Das finden sehr viele Fans gut – sie klingt noch erwachsener als früher. Kritisch sehen einige Fans, dass Partysongs wie „Paris“ (übrigens auch ein Song von PETER PLATE und ULF LEO SOMMER) oder „In 80 Küssen um die Welt“ fehlen (abgesehen vom „Tabu“-Livemitschnitt) – andrerseits ist mit „VORBEI VORBEI“ schon ein eingängiger Titel in der Setlist, der auch mitsingbar ist.

Das neue Album bietet ein paar sehr persönliche Balladen. Die Lieder haben teilweise Tiefgang. Die Produktion von PETER PLATE, ULF LEO SOMMER und JOSHUA LANGE ist weit über dem heutigen sterilen und vor allem lieblosen Schlager-Produktionsniveau, damit hebt sich MICHELLE von sehr vielen ihrer Kolleginnen deutlich ab. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass es der Wunsch der Künstlerin war, mit eben genau diesem Team arbeiten zu wollen.

MICHELLE hat sich mal wieder neu erfunden. Wenn man ehrlich ist, ist das neue Album weniger ein Schlager- und eher ein Deutschpopalbum. Und das ist durchaus eher als Kompliment gemeint…

 

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2 Antworten

  1. Ich stimme den Schlagerprofis zu, es ist ein gutes Album geworden. Ich finde es aber schade, dass sich kein wirklicher Party- bzw. Mitsing-Schlager auf der CD befindet. Michelle hat auf ihren letzten Alben gezeigt, dass sie das auf hohem Niveau kann. (Paris, 30.000 Grad, Hast du Lust?, Wir feiern das Leben, So schön ist die Zeit, In 80 Küssen um die Welt,…)

    1. Die Schlagerprofis schreiben, daß das Album weniger ein Schlager- sondern eher ein Deutsch-Pop Album ist. Dann dürfte Michelle mit dem neuen Material eigentlich weniger bis garnicht mehr in Schlagersendungen auftreten. Vielleicht wird es Zeit das man sich bei den Fernsehsendern mal Gedanken macht über Sendungen die sich eben an Deutsch-Pop Künstler usw. wenden. Da könnten dann eben Wincent Weiss, LEA, Adel Tawil und auch Pur, die Münchener Freiheit oder ein Peter Maffay usw. auftreten.
      Bin ganz ehrlich Deutsch-Pop ist für mich mich wie eine Schlaftablette. Musikalisch absolut langweilig.

      Grüße Martin

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