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MARC MARSHALL im Schlagerprofis-Interview

MARC MARSHALL im Gespräch mit Schlagerprofis.de

Am Tag nach seinem Konzert mit der Bigband der Musikschule Vaterstetten sprach Marc Marshall über das Konzert, seine Verbindung zu Harold Faltermeyer, seine künstlerische Entwicklung, sein neues Album „Times to love“ und die bevorstehenden Weihnachtskonzerte.

Wie war das Konzert gestern für Sie? 

Das hat viele Facetten, die man in einem normalen Konzert gar nicht erlebt, weil ich allein schon durch die freundschaftliche Beziehung zu Bernd Kölmel, dem Leiter der Musikschule in Vaterstetten, eine ganz andere Basis habe. Mit Menschen zu spielen, die mit Musik ihrer Leidenschaft nachgehen, die mit so viel Begeisterung dabei sind und durch Auftritte wie diesen lernen, war für mich außergewöhnlich. Ebenso die Begegnung mit Harold Faltermeyer, der als mehrfacher Oscar-Gewinner einen Hauch von Hollywood mit auf diese Bühne brachte. Wir hatten uns zuletzt bei Mr M‘s Jazzclub in Baden-Baden gesehen.

Leider können wir uns nicht so oft sehen, wie wir es uns wünschen würden. Auch Thomas Stein war da. Er begleitet meine Karriere seit vielen Jahren. Und Gernot Rothenbach, der viele wunderbare Lieder für Marshall und Alexander und mich geschrieben hat. Das alles war schon sehr emotional und hat mich persönlich berührt, ich musste mich auch ein bisschen zusammenreißen. Mit meinem Pianisten René Krömer oder meinen anderen Formationen, mit denen ich sonst Programme gestalte, bin ich natürlich eingespielt.

Mit der Bigband Vaterstetten hatte ich Anfang des Monats eine gemeinsame Probe – und dann hauen wir so ein Konzert raus! Ich bin sehr dankbar, dass ich das gestern erleben durfte, und freue mich schon aufs nächste Mal.

Auf dem Programmzettel wird Harold Faltermeyer als Ihr Entdecker bezeichnet. Können Sie das ein bisschen ausführen? 

Kennengelernt haben wir uns, als ich schon ein erwachsener Mann war, zwei Kinder hatte und künstlerisch schon gut unterwegs war. Eine Begegnung mit einer Persönlichkeit wie Harold Faltermeyer formt natürlich einen Menschen. Insofern ist er fraglos mein Entdecker. Auch er lernt immer noch gerne von Menschen, die erfolgreich sind und vor allem auch als Menschen Vorbilder sind.

Zu diesen Vorbildern zählt Harold für mich. Man lernt nicht nur musikalisch oder in Fragen des Business Neues dazu, sondern entwickelt sich auch als Künstlerpersönlichkeit weiter: Wie will ich mich als Mensch auf der Bühne bewegen? Wie zeige ich meine Haltung? Was sind meine persönlichen Werte? Nehme ich die mit in den Beruf und trage sie mit meiner Musik weiter?

Harold ist als Freund und auch in diesen Aspekten meiner Karriere ein unfassbar wichtiger Ansprechpartner gewesen – und das ist er bis heute. Wir haben nach dem Konzert lange zusammengesessen und philosophiert. Es ist ein Geschenk, solchen Menschen zu begegnen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Da kann ich nur dankbar sein, denn Harold ist eine Ausnahmeerscheinung im Showbusiness.

Deswegen habe ich gestern Abend ganz klar gesagt: Er ist ein Weltstar, der sich aber nicht so verhält, wie man das vermuten mag. Es gibt ja viele, die den Boden unter den Füßen verlieren, diese Gefahr ist bei Harold nie da gewesen. Er lebt vor, auf was es ankommt, nämlich nicht auf den Status, nicht auf das Äußere, sondern auf die inneren Werte, den Antrieb, den Fleiß, die Flexibilität und vor allem das Können.

Wie haben Sie für das Programm für das Konzert zusammengestellt? Sie haben ja gestern gesagt, dass Sie einige Lieder sonst gar nicht singen.

Ja, „A foggy day“ habe ich zum ersten Mal gesungen, „Leeroy Brown“ vielleicht fünfmal in meinem Leben – alle Titel mit Bigband singe ich so gut wie nie. Das ist natürlich der Tatsache geschuldet, dass Bernd Kölmel mit seiner Truppe ein Repertoire auswählen musste, für das sie ausreichend Zeit zum Einzustudieren hatten, und für das es Arrangements gibt, die man nicht extra schreiben musste.

Ich habe mich gerne darauf eingelassen, denn auch das ist eine Herausforderung, sich mit neuem Repertoire auseinanderzusetzen. Die Lieder, die ich mit meinem Pianisten René Krömer gesungen habe, sind mir schon in Fleisch und Blut übergegangen, da braucht man nicht lange zu überlegen. Wir haben unseren Teil des Programms, den wir im Duo beigetragen haben, erst unmittelbar vor dem Auftritt festgelegt.

Sie haben es schon angedeutet: Das ist ein starker Kontrast zu den Konzerten, die Sie sonst mit Klavierbegleitung geben. Warum ist es Ihnen so wichtig, meistens ausschließlich mit einem Pianisten Konzerte geben? Geht es auch darum, dass das eine intimere Form ist, Musik zu machen?

Da gibt es verschiedene Aspekte: Wenn man nur mit einem Instrument auf die Bühne geht, hat das natürlich eine ganz andere Intensität. Es kommt zudem auf den Kern an: Was für Songs singe ich? Wie interpretiere ich diese und wie kann ich vor allem das durch meine Interpretation ausfüllen, was so eine Komposition abverlangt?

Das ist für mich als Solist viel intensiver, als wenn ich mit einem großen Apparat mit 20 Tänzerinnen und Tänzern, mit einer Wahnsinns Lightshow, Akrobatik oder einem Orchester unterwegs bin. Hier kommt es für den künstlerischen Ausdruck noch viel stärker auf das Können der Akteure an, um diesen auch handwerklich transportieren zu können.

Diese Intensität und Nähe am Leben zu erhalten, die in der heutigen Zeit immer mehr verloren gehen, ist mir unfassbar wichtig. Außerdem war das auch eine Entwicklung mit René Krömer über die zwei Jahrzehnte, die wir jetzt zusammenarbeiten. Wir harmonieren so natürlich und gut auf der Bühne, dass wir bei unseren Tournee-Konzerten auf einen Riesenapparat verzichten. René und ich können jeden Abend entscheiden: Wie schnell oder langsam spielen wir ein Lied? Welches lassen wir weg? Was nehmen wir mit rein?

Wir verstehen uns blind, und das geht mit einem großen Ensemble nicht. Da muss man sich ganz genau an Abmachungen halten, da werden die Lieder genauso gespielt, wie man sie irgendwann mal gemeinsam einstudiert hat. Diese Flexibilität im Duo ist durch nichts zu ersetzen, diese Vertrautheit und künstlerische Freiheit genießen wir Abend für Abend.

Ihr aktuelles Album „Times to love“ ist eine große internationale Produktion von Chris Walden im Abbey Road Studio in London mit dem Royal Philharmonic Orchestra. Warum ist dieser internationale Klang Ihnen so wichtig? 

Dieses Album hätte ohne Harry Belafonte nie eine Chance gehabt, überhaupt zu entstehen. Die Grundlage sind die Songs, die für ihn geschrieben worden waren und die er mir zur Verfügung gestellt hat. Deshalb war ich für die Produktion von „Times to love“ auch international unterwegs. Die englische Sprache ist als Weltsprache für die Themen, die Harry als Mensch so wichtig waren, nämlich für Gerechtigkeit, für Liebe, Frieden und Respekt einzustehen, einfach allumfassend.

Da Chris Walden diese Idee so toll fand, dass ich ein Album in dieser Richtung realisieren möchte, hat er sich als Produzent angeboten. Somit war für mich klar, dass wir es da produzieren, wo Chris beheimatet ist und wir uns in den Capitol Studios in Los Angeles der besten Musiker und Möglichkeiten bedienen können, die es gibt.

Das war mir vergönnt – mit den Institutionen, die Sie schon genannt haben, und natürlich mit einer Musiklegende wie Al Schmitt als Tonmeister, der drei Titel gemischt hat und leider mit über 90 Jahren zwischenzeitlich verstorben ist. Er war der Produzent von Toto und Entdecker von Al Jarreau. Da sind so viele schöne Dinge passiert, da kann und möchte ich nicht sagen: „Das ist mir jetzt wichtig, ich möchte irgendeinem Muster gerecht werden“, das hat sich als unfassbare Chancen so ergeben, und diese Kraft spürt man dann auch in dieser sensiblen Art, mit der Chris nicht nur produziert, sondern auch arrangiert hat.

Ich bin unendlich dankbar, das ist wirklich „Once in a life time“. Mir ging es bei diesem Album nicht darum, einen Markt zu bedienen, sondern den Kompositionen und den Aussagen der Songs mit einer großen Verantwortung so gerecht wie möglich zu werden. Deswegen hat es diese Internationalität, die aber per se kein Wert ist. Der ideelle Wert steckt in der liebevollen Umgangsweise mit allem, was wir dafür und in diesem Zusammenhang bereits gemacht haben.

Das Album ist ja kürzlich für eine Grammy-Nominierung vorgeschlagen worden.

Das ist für mich eine große Ehre. Nominiert wurde es zwar noch nicht, dafür braucht es als ersten Schritt eine consideration (eng. Berücksichtigung, Anmerkung der Redaktion), aber allein das hat schon für Wellen gesorgt. Aufgrund der Tatsache, dass Chris Walden schon siebenfach für den Grammy nominiert wurde und mit den Größten der Welt zusammenarbeitet, hat die Einreichung in gleich drei Kategorien eine ganz andere Aufmerksamkeit gewonnen. In Deutschland ist es nach wie vor eine Herausforderung, mit so einem qualitativ hochwertigen Album die entsprechende Wertschätzung zu erlangen, die man sich als Künstler und für alle Beteiligten natürlich auch ein bisschen in seiner Heimat erwünscht und erhofft.

Wenn man nur von Ihrem Können ausgeht, müssten Sie ständig in irgendwelchen großen Samstagabendshows auftreten und Arenen füllen, aber Sie finden in solchen Fernsehshows kaum statt. Das ist sicher ein Problem, das Ihre Arbeit, die ganz andere künstlerische Ansprüche hat, mit sich bringt.

Naja, viele Verantwortliche in unserem Land erklären das Publikum mittlerweile für dumm und sagen: „Das ist zu anspruchsvoll, das können wir den Zuschauern nicht zumuten.“ Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Wir rennen immer mehr den Dingen hinterher, von denen wir vermeintlich vermuten, dass sie erfolgreich sein können. Da hat ein Künstler wie ich keinen Platz, das ist mir völlig klar. Und das wusste ich auch, bevor ich das Album produziert habe, und Ihre Frage suggeriert ja ein Kompliment, und mit diesem Kompliment kann ich sehr gut leben.

Ich bleibe meinem Weg treu, ich arbeite mit ganz vielen Kolleginnen und Kollegen, die meine Einstellung teilen. Ich habe mit „Marc Marshall & Friends“ gerade wieder eine tolle Sache mit Christian Friedel und Olga Scheps auf die Bühne gebracht, das ist dann meine „Befriedigung“. Ich freue mich über Applaus, doch ich hasche nicht nach Ruhm und Geld um jeden Preis. Mir ist immer der Antrieb wichtig: Was kann ich dem Publikum bieten? Wie kann ich mich selbst dabei weiterentwickeln? Alles Andere ist mir mittlerweile wirklich wurscht.

Anders als manch andere Künstler, die sich auf den Ruhm von Udo Jürgens setzen und zum Teil nicht mal die Töne treffen, singen Sie das Lied mit einem solchen Respekt… Gestern haben Sie gesagt: „Wenn ich dem Lied nichts geben kann, dann lasse ich es bleiben.“ Ein gutes Beispiel ist Ihre Version von „Was wichtig ist“ von Udo Jürgens: Sie singen das Lied mit einem solchen Respekt und suchen sich keinen Hit aus, sondern ein Lied, das etwas tiefer geht und das die Leute vielleicht gar nicht kennen. 

Das ist schön, dass Sie das so sehen, das freut mich wirklich sehr. Ich kann aber gar nichts dazu sagen, was Andere machen. Ich glaube, es geht grundsätzlich um die Motivation: Warum übe ich diesen Beruf überhaupt aus? Wenn es mir um das ginge, worum es vielen geht, die man so wahrnimmt, dürfte es mich als Sänger gar nicht mehr geben, weil ich das mit meiner Seele nicht vereinbaren kann. Ich habe auch vieles ausprobiert, um diese Klarheit zu finden. Seit vielen, vielen Jahren kann ich meine gewonnene Überzeugung leben, verzichte dafür auch ab und zu mal auf Geld und Öffentlichkeit. Diese Treue zu mir selbst steht mittlerweile über allem. Ich lasse mich nicht mehr korrumpieren.

Mein Vater hat mir mitgegeben: „Du musst Dir treu bleiben. Mach nicht den Fehler und denke, dass du auf die falschen Leute hören musst, die Dir irgendwas einreden wollen, nur weil sie denken, damit mehr Geld zu verdienen.“ Das versuche ich, das gelingt auch mir nicht immer, dennoch ist allein diese Einstellung schon eine Art von Befreiung. Unabhängig in Entscheidungen zu sein, das ist das höchste Gut. Ich glaube, da gibt’s mittlerweile ganz, ganz wenige. Selbst von den Allererfolgreichsten sind ganze wenige in der Lage, selbst zu entscheiden, was sie tun.

Können Sie den Prozess Ihrer künstlerischen Entwicklung beschreiben?

Naja, man wächst auf in einem Haushalt, der immer von Musik geprägt war, hat einen Vater, der die ersten acht, neun Jahre meines Lebens extrem erfolglos war. Dann bricht die ganze Welt um uns herum zusammen, weil der Vater plötzlich einen Millionenseller hat, und über Nacht kannte jeder Tony Marshall. Dann wächst man da hinein, und man muss ja seine Lehren ziehen und auch seine Hörner abstoßen: Wer meint es ehrlich mit Dir? Was sind die Mechanismen des Marktes? Was will man denn überhaupt selbst? Will man mehr Pop singen, will man mehr Klassik, will man mehr Jazz, will man vielleicht auch Schlager singen?

Das sind Dinge, die ich erstmal herausfinden musste, wie man seinen Geschmack beim Essen und Trinken auch ausbildet: Ist man mehr der Bier- oder der Weintyp? Mag man’s gerne deftig? Mag man lieber die Drei-Sterne-Küche? Am Ende des Tages habe ich gemerkt, dass es mir immer wichtig war, Menschen zu berühren und mein Talent weiterzuentwickeln. Dann kann man mal eine Bratwurst essen und eben auch das Drei-Sterne-Menu. In dieser Welt bewege ich mich seither. Leider sind wir in Deutschland so geprägt, dass die Medien, wenn man zum Beispiel mit etwas Leichterem einen Erfolg landet, daraus auf ein allgemein gültiges Niveau des künstlerischen Repertoires schließen.

Papa hat immer darunter gelitten, dass gesagt wurde: „Wer ,Schöne Maid‘ singt, der kann ja nix!“ Dagegen habe ich mich immer aufgelehnt, denn ich hätte ja auch den einfachen Weg gehen und sagen können: „Ich singe jetzt auch die ,Schöne Maid‘.“ Aber ich habe genau gespürt: Erstmal will ich das gar nicht, also treffe ich die Entscheidung für einen schwereren Weg. Die Entscheidung, was mir im Leben wichtig ist, hängt nicht nur von meinem wirtschaftlichen Erfolg ab, sondern von dem, was mir wirklich guttut.

Dennoch habe ich da auch schon rückblickend danebengegriffen und mich ab und auf Projekte eingelassen, von denen man später sagt: „Das hätte ich jetzt nicht unbedingt machen müssen!“ Entscheidend ist, dass man diese Momente erkennt, dass man da rauskommt und Konsequenzen zieht. Und diese Konsequenzen wurden mir immer klarer, je älter ich wurde, je mehr ich auch Anerkennung als Künstler erfahren habe. Heute stehe ich da, wo ich stehe, und deshalb kann ich auch mit großer Selbstverständlichkeit an so einem Abend wie gestern „Bad, bad Leroy Brown“ singen, eigene Songs, „Was wichtig ist“ von Udo Jürgens und zum Abschluss „My way“.

Wie war überhaupt die Entwicklung von Marshall und Alexander hin zum Fokus auf Sie als Solokünstler? 

Wenn ich mich für etwas entscheide, dann mache ich das hundertprozentig. Während der Zeit mit Marshall und Alexander war ich quasi der Manager, Produzent, Stratege und natürlich auch Sänger. Da ich auch alle Programme gestaltet habe, hat mich das wirklich zu hundert Prozent eingenommen. Über die Jahre habe ich trotzdem gespürt: Mein Gott, jetzt warst Du Dein Leben lang der Sohn von Tony Marshall, dann bist Du im nächsten Leben der Teil eines Duos, wo bleibst Du eigentlich?

So habe ich mich immer weiter emanzipiert, bis ich dann irgendwann gemerkt habe: Ich muss mich nicht nur emanzipieren, was meine Haltung angeht, sondern ich muss tatsächlich raus aus dieser Formation, um vielleicht nochmal andere Dinge zu erleben – und wenn es nur ein Experiment ist, ich wollte endlich mal „auf eigenen Füßen stehen“. So kam es dazu, dass ich mich dazu entschieden habe, das Duo nicht weiterzuführen.

Auf Ihrem neuen Album singen Sie Duette mit einem Musiker aus dem Kongo und der Jazzsängerin und Sopranistin Alma Naidu, auch bei „Mr. M’s Jazz Club“ laden Sie immer wieder junge Musiker ein. Warum ist es Ihnen wichtig, junge Musiker zu fördern? 

Das mag so aussehen, aber mir geht’s darum, mit Menschen Musik zu machen, die mich wieder inspirieren und bereichern. Die junge Generation, von der Sie sprechen – Jakob Manz, Jakob Bänsch, Alma Naidu, Konstantin Reinfeld –, die haben so einen offenen Umgang und keinen Dünkel. Für sie ist es auch was Schönes, mit Marc Marshall auf der Bühne zu stehen. Sie haben keine Angst, dass der Name Marshall sich irgendwie negativ auf ihre Karriere auswirken könnte. Viele Generationen vor den ganz Jungen hatten da förmlich musikalische Berührungsangst, das ist bis heute so, dass einige denken: Marshall, das ist nicht gut für mich, ich will ja kredibel sein.

Das hat diese neue Generation überhaupt nicht. Wenn sie dann vielleicht sogar davon profitieren, wenn sie mit mir auftreten, freue ich mich mit ihnen. Sie vergessen sowas nämlich auch nicht, und wann immer ich frage, sind sie beim nächsten Mal wieder gerne mit dabei. So sollte es eigentlich sein, dass wir generationenübergreifend Musik machen, dass wir uns austauschen und überhaupt aufgeschlossen miteinander umgehen, anstatt zu sagen: „Der ist zu jung, der kann’s noch nicht oder der ist zu alt, den will man nicht mehr.“ Das ist absoluter Blödsinn.

Sie kamen gestern von einem Konzert in Schwerin und haben jetzt die Weihnachtskonzerte vor sich. Was können die Leute von den Weihnachtskonzerten erwarten?

Genau das, was Sie gestern erlebt haben: einen absolut unverfälschten Menschen, der das Herz auf der Zunge trägt und versucht, seine Haltung und sein Gefühl mit Musik zu transportieren, und zwar immer im Austausch mit den Emotionen des Publikums. Das ist kein Selbstzweck, ich brauche Publikum, um Geschichten zu erzählen und mich selbst zum Nachdenken zu bringen. Wenn ich anfange, nachzudenken, aus meiner eigenen Komfortzone trete und nicht nur blind durch die Weltgeschichte renne, kann das Publikum so eine Haltung mitnehmen und auch bei anderen auslösen.

Deswegen war mir der Schlusssatz gestern so wichtig, dass man die Menschen, die voller Unzufriedenheit durch die Welt rennen und teilweise im Alltag Aggressionen zeigen, oft einfach mit einem Lächeln entwaffnet. Dafür ist das Leben zu wertvoll. Das ist meine Art, Konzerte zu geben: emotional, echt und immer mit meiner aktuellen Verfassung. Ich habe keine vorgefertigten Moderationen, sondern ich gehe mit dem in einen Abend rein, was mich gerade beschäftigt und an was ich selbst Freude habe. Darauf können sich die Leute freuen: echt, unverfälscht, ohne technische Hilfsmittel. Das ist pur, so, wie ich es damals als „Handwerk“ gelernt habe.

Foto: Guido Karp

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