Kraftwerk

KRAFTWERK: Experte RUDI ESCH erinnert an den großen Musiker FLORIAN SCHNEIDER

Vor einigen Tagen wurde der Tod FLORIAN SCHNEIDERs, der prägenden Gestalt der weltberühmten deutschen Gruppe KRAFTWERK, bekannt. Der Experte RUDI ESCH hat einen wie wir finden überaus lesenswerten Nachruf geschrieben und uns die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung erteilt. Auch wer KRAFTWERK bislang nicht so gut kannte, erfährt hier hoch interessante Details über eine der bedeutendsten deutschen “Popmusik” (, wenn man es so nennen will)-Gruppen aller Zeiten.

Zum Tod von Florian Schneider. Dem Düsseldorfer von Weltruf.

Die internationale Musikpresse versuchte mehrfach, die Düsseldorfer Musikgruppe Kraftwerk als die neuen Beatles, oder sogar als einflussreicher als die Beatles, darzustellen. Das ist schmeichelhaft, verweist auf die epochalen Einflüsse und stilbildenden Alben der Band, entbehrt aber jeglicher Grundlage. Es fehlt der gemeinsame Nenner. Gut, es handelt sich in beiden Fällen um ein Quartett; um vier musikalische Persönlichkeiten, die gemeinsam mehr zu erreichen vermochten, als es die Summer der einzelnen Teile vermuten ließ. Beide Gruppen wurden von einem genialischen songwriting Duo beherrscht, das den anderen Mitgliedern zeitweise die Luft zum Atmen raubte. Beide Gruppen entwuchsen dem geliebten heimatlichen Rahmen und wurden internationale Phänomene. Beide hatten einen künstlerischen und einen musikalischen Kopf. Schneider entsprach in seiner unangepassten, selbstbewussten und nie harmoniesüchtigen Art dem Wesen von John Lennon. Er sah die Musik als Kunstform und das fertige Album als Konzept. Er sorgte für das nüchterne Erscheinungsbild der Frühphase und wollte gemeinsam mit Hütter keine tradierten Rockklischees bedienen. Als großbürgerlicher Sohn des Star-Architekten Paul Schneider-Esleben waren es die klaren strukturierten Formen, die ihn ansprachen, die ihn eine Ästhetik zwischen Modernismus und Minimalismus finden ließen. Florian Schneider-Esleben rief Kraftwerk 1970 ins Leben und war bis 2009 Teil dieser Band. Ihm wurden die experimentellen Sounds und konzeptuellen Themen des Albums Radioaktivität vornehmlich zugeschrieben. Ein Album, das sich mit Radiowellen und Empfangsgeräten auseinandersetzte; das Wellen schwingen ließ und versöhnlich Ohm, Sweet Ohm summte. Dabei nur in einem Nebensatz auf Madame Curie zu sprechen kam und den Volksempfänger der dreißiger Jahre auf Vorder- und Rückseite abbildete.

Auf der ‘Autobahn’ zum Weltruhm

Weltruhm erreichte er schon ein Jahr zuvor mit dem bis heute bestverkauften Album der Band: Autobahn. Diese frühe Sternstunde ermöglichte eine ausgedehnte Amerikatour und ansehnliche Einnahmen. Die Amerikaner erlagen dem Konzept Autobahn und adaptierten es für ihre Highways. Ein Missverständnis sorgte für genügend Airplay: Man verstand den sonoren Sprechgesang zum Teil im fernen Amerika und den Text als einen Tribut an die Beach Boys; man wollte Fun, fun, fun auf der Autobahn herausgehört haben.

Von elektronische ‘Ablenkungsmanövern’

Dieses, von Röder abgesehen, komplett elektronisch eingespielte Album soll als das erste ihres musikalischen Schaffens angesehen werden. Die vorangegangenen drei Krautrockalben, die Schneider noch mit Querflöte einspielte, sollte es vergessen machen. Hier hatte man erstmals auf stringente Konzeptkunst und das Grundthema von Technik und Fortbewegung gesetzt. Ähnlich wie bei der frühen europafreundlichen Hymne Trans Europa Express, dem Album, das als erstes in verschiedenen Sprachen und Aufmachungen daherkam. Der Eröffnungstrack Europa Endlos würde sich als inoffizielle völkerverbindende Hymne nach wie vor anbieten.

Schneider sticht heraus

Im Erscheinungsbild der vier wird Schneider immer als Charakterkopf ausgemacht. Zu uneben seine Züge um Mund und Nase; zu unwirsch seine zurückgestutzte Haartracht. Der Einsiedler der Truppe. Sein Profil sticht heraus, auch dann, wenn jeder in ein rotes Hemd mit schwarzer Krawatte gekleidet ist, entkommt er der Uniformität. Ein weiteres Album, das in englischer und deutscher Sprache erschienen ist; das Cover ist international dasselbe, nur der Titel geringfügig angepasst. Man Machine. Der spätere große Hit Das Modell und die selbstreferenzielle Nummer Die Roboter befindet sich auf diesem Album, das vielleicht als ihr bestes angesehen wird; zumindest jedoch durch die signalhafte Covergestaltung zum prägendsten Image der Band wurde.

Der Prophet im eigenen Land

Das englischsprachige Ausland wurde zum wichtigsten Markt für Kraftwerk. Hatten sie früh den Weg nach Amerika angetreten, so sollten sie sich ihre fanatischsten Fans in England erschließen. Eine Riege namhafter Musiker nahm die Konzerte von Kraftwerk zur Tour von Radio Activity als Eureka Moment, um selbst Musik machen zu wollen. OMD. Orchestral Manoeuvres in the Dark, um nur mal die treuesten und bekanntesten zu nennen.

Durch den Rücken über die Brust ins Ohr

Durch die Namensnennung von Iggy Pop und David Bowie im Lied Trans Europa Express hatten sich Kraftwerk auf geschickte Art eine Fährte gelegt in den Art Rock und New Wave der Übergangszeit der Jahrzehnte sieben und acht. Es war bekannt, dass Bowie auf seiner Station To Station Tour anstelle einer Vorgruppe den Film Der Andalusische Hund und das Album Radioaktivität mitgenommen hatte. Jeden Abend dröhnten Schneiders zischende und flirrende Synthesizer Sounds aus Bowies PA. Ungläubig hörten wir zu, als Bowie Florian mit V2 Schneider, einem Song des Albums Heroes, ein Denkmal setzte. Das lässt selbst die auf youtube feilgebotenen Geschichten von Iggy Pop klein erscheinen, der sich erinnerte mit Florian auf dem Düsseldorfer Marktplatz frischen Spargel gekauft zu haben. Grotesk nur die Vorstellung, dass sich diese beiden Ikonen der außerparlamentarischen Musik zu Fuß und unbehelligt vom Kling Klang Studio aus auf den Weg machten, um dem amphetaminverwöhnten Herrn Osterberg die Freuden der regionalen Küche nahezubringen. Das ist entweder naiv oder genial, und kann nur ein Einfall von Schneider gewesen sein.

Alle Wege führen nach Berlin

Von Düsseldorf aus machten sich Bowie und Iggy auf den Weg zurück nach Berlin, um im Hansa Studio by the wall die Aufnahmen an Heroes und Lust For Life zu beginnen. Beide waren fasziniert von deutschen Bands wie Can, Neu!, Kraftwerk und Tangerine Dream sowie dem Leben im Ausnahmezustand der Mauerstadt. Beiden gelangen ihre künstlerisch wertvollsten Produktionen, und beide waren an der Pforte von Kling Klang und Conny’s Studio gescheitert.

Es blieb kühl im KRAFTWERK-Universum

Niemand konnte sich in Deutschland bisher zu sehr für Kraftwerk erwärmen. Zu suspekt und verschlossen erschien die Gruppe. Zu schmeichelhaft wurden jedoch die Komplimente aus dem Ausland. Noch im Juni 81 traten Kraftwerk in einer spärlich gefüllten Konzerthalle in Düsseldorf, in der für Fans und Forscher einzigen und wahren Originalbesetzung, also mit Bartos und Flür, auf. Das Heimspiel der Computerwelt Tournee wurde zu einem lauwarmen Empfang, der zu allem Überfluss wegen technischer Probleme im kollektiven Gedächtnis der Stadt hängen bleiben sollte.
Also lieber wieder in die Ferne schweifen. Für das Doppelkonzert in Tokyo wurde der aktuelle Singlehit Taschenrechner in Landessprache vorgetragen und kurze Zeit später als Maxi Single Dentaku veröffentlicht. Die Tour zum gelben Album Computerwelt sollte zur längsten der Bandgeschichte werden. Hier war es Florian, der sich hernach dafür einsetzte nie wieder so lange unterwegs zu sein. Er war nicht gemacht für das Tour-Leben und hatte begonnen sich intensiv mit dem Radsport zu beschäftigen. Auch liebte er seine rheinische Heimat und hatte Interessen fernab von Kraftwerk.

Wir verneigen uns zutiefst!

Wo Hütter als Kopf von Kraftwerk respektiert wurde, wurde Florian geliebt. Florian verkörperte das Geniale und nicht berechenbare Element von Kraftwerk. Er ist am 21. April einer kurzen Krebserkrankung erlegen und zwei Wochen später in einem Urnengrab im engsten Kreis der Familie beigesetzt worden. Die Nachricht von seinem Tod erreichte die Öffentlichkeit erst nach der Beisetzung. Fans in aller Welt verneigen sich vor einem Künstler, der sein Vermächtnis und seinen Humor in drei Worte zu kleiden wusste: Boing Boom Tschak. Und sein Credo schon im Text von Music Non Stop versteckte: Es wird immer weitergehen, Musik als Träger von Ideen.

Rudi Esch im Mai 2020
ELECTRI_CITY Elektronische Musik aus Düsseldorf
Erscheinen im Suhrkamp Verlag

Dieser Text erschien zuerst in der WOZ Wochenzeitung aus Zürich

Foto: Leon Elvis Esch

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