Reinhard Mey - Das Haus an der Ampel

REINHARD MEY: “Das Haus an der Ampel” – abermals ein MEYsterwerk!

Ausbruch aus dem Rhythmus: Erstes Mey-Album seit vier Jahren

Jahrzehntelang unterwarf sich REINHARD MEY, einer der bedeutendsten Liedermacher Deutschlands, einem selbst gewählten Lebensrhythmus: Ab 1967 erschien alle zwei Jahre ein neues

Reinhard Mey
(© Hella Mey)

Studioalbum, zwischendurch sogar jedes Jahr. Ab 2004 gönnte er sich bis zur neuen Platte drei Jahre Zeit. Doch mit jedem neuen Album ging der Chansonnier auf Tournee und ließ einen Livemitschnitt veröffentlichen. In Interviews erzählte REINHARD MEY, er brauche diesen „Zwang“ und die feste Planung, weil er eigentlich ein fauler Mensch sei. Doch nun brach er mit seinem Lebensmodell. Schon 2018 kündigte der Liedermacher an, sich dieses Mal ein Jahr mehr zu gönnen, „um meine Lieder mit Leidenschaft und Liebe, mit Muße und Hingabe zu schreiben und werden zu lassen.“

Erstmals Studioalbum mit zwei CDs

Traditionsgemäß erscheint „Das Haus an der Ampel“ – wer hätte es gedacht – im Mai. Wegen der Corona-Pandemie musste die Veröffentlichung von Anfang auf Ende Mai verschoben werden. Erstmals besteht ein neues Studio-Album von REINHARD MEY aus zwei CDs – auf dem ersten (vom Künstler „Das Album“ genannt) sind alle Songs ausproduziert und von seinen langjährigen Musikerkollegen begleitet. Für das „Skizzenbuch“ spielte Reinhard Mey alle 16 Titel so ein, wie man den Künstler auf der Bühne kennt – unplugged, nur er und seine Gitarre. Außerdem erscheint eine limitierte Edition in Form eines Buches, in dem auf über 100 Seiten 260 Fotos aus dem Privatarchiv Reinhard Meys zu finden sind.

Melancholischer Beginn

Melancholisch, von Flöten und Streichern begleitet, beginnt das Album mit dem ersten Lied „Im Hotel Zum ewigen Gang der Gezeiten“.  Es geht wohl um ein alt gewordenes, einsames Ehepaar. Die Freunde sind tot, das Leben ist eintönig und leer geworden. Man wartet auf das Lebensende. Kein glücklich gewählter Einstieg in ein Album.

Ode an den Bleistift

Wesentlich leichter kommt das nächste Lied, „An meinen Bleistift“, daher. In wunderbaren sprachlichen Bildern und Vermenschlichungen dankt der Dichter seinem wichtigsten Werkzeug, das ihm dabei hilft, seine Gedanken „zu meinen Liedern“ werden zu lassen. Es ist der erste von vielen Rückblicken aufs eigene Leben und die so erfolgreiche Karriere des Liedermachers. Hier beschreibt er die „vielen bangen Stunden“, die Schreibblockaden, aber auch die Freude am Schreiben. Das Ausradieren umschreibt Reinhard Mey als „zweite Chance“, und er beschreibt Parallelen zwischen dem Schreibwerkzeug und sich selbst. Die letzte Strophe stimmt nachdenklich: Darin beschreibt Mey, sein „Freund“, der Bleistift, habe sich „aufgebraucht“. Fans des Liedermachers werden sich sicher darum sorgen, dass dieses Meys letztes Album gewesen sein könnte. Typisch für Mey, wählt er für dieses Lied die kleine Besetzung mit Gitarre und Klavier.

Anrührender Titelsong

Einer der berührensten und mit knapp acht Minuten längste Songs ist das Titellied „Das Haus an der Ampel“. Darin hält Mey vor seinem Elternhaus und wird von Kindheitserinnerungen überwältigt. Plötzlich werden seine Eltern vor seinem geistigen Auge wieder lebendig: er sieht seinen Vater wieder Mozart dirigieren, es riecht nach Rauch, und auch die Katze schnurrt vor sich hin. Er fragt sich, was seine Eltern über ihn denken würden, wenn sie ihn, den alt gewordenen Mann, sehen könnten. So stellt er sich vor, wie er seinen Eltern all das erzählt, was sie nicht mehr miterleben konnten. Ihn tröstet der Gedanke, dass seine Eltern ihn auf ihrem „Wolkenthron“ bewachen. Die berührenden Erinnerungen werden jäh durch das Hupen der hinter ihm fahrenden Autos beendet. Besonders gelungen ist das Lied in der „Skizzenbuch“-Version.

Der Vater und das Kind“ erzählt von den Momenten kurz vor dem Konzert, in denen Reinhard Mey sein Publikum durch das Loch im Vorhang ausmacht. Er sieht einen Vater mit seinem im Rollstuhl sitzenden Kind. Beide haben sich für das Konzert „fein gemacht“ und der Autor meint, so etwas wie Trotz bei dem Vater und seinem Kind sehen zu können: „Es ist als sagte er: Schaut her, ihr alle sollt es sehn,/Es mag gezeichnet sein von so viel Leiden,/Doch seine Seele, die ist unversehrt und wunderschön!“ Der Vater hält das Kind während des ganzen Konzertes, und Mey sieht darin Zärtlichkeit und Wärme, die auch ihm Trost schenken.

Reinhard Mey: Rückblick auf Karriereanfänge

In Wien“ behandelt die Karriereanfänge von Reinhard Mey. Er erzählt, wie er zum ersten Mal das Gefühl hatte, es geschafft zu haben. Alles ist neu für ihn: Ein luxuriöses Hotelzimmer und ein Radio, aus dem er zum ersten Mal eines seiner Lieder hört. Das Konzert bezeichnet er in einem Understatement als Glückssache, nur geschehen, weil jemand ihn gefördert hat. Er spannt den Bogen vom ersten Konzert in Wien über die vielen Erinnerungen, die er mit der Stadt verbindet, von der er so wenig weiß, bis zum Moment kurz vor dem letzten Konzert in Wien. Die langjährige, tiefe Verbundenheit mit der österreichischen Hauptstadt ist deutlich zu spüren. Die Begleitung ist gewohnt minimalistisch, Gitarre und Geige.

Liebeserklärung an seine Frau Hella

Hella und Reinhard Mey
(Video-Screen: „So viele Sommer“)

Bleib‘ bei mir“ ist eine Liebeserklärung an seine Lebensliebe Hella. Gemeinsam haben sie alle Wetter, jeden Sturm überstanden. Sie finden beieinander Trost und Halt, haben gemeinsamen alle Schicksalsschläge überstanden. Im Refrain klingt Meys Stimme besonders zerbrechlich.

Leichter geht es in „Häng‘ Dein Herz nicht an einen Hund“ zu. Das macht sich in der beschwingten Melodie und dem augenzwinkernden Text zu. Schon 1975 war Reinhard Mey ‘auf den Hund gekommen’. „Es gibt Tage, da wünscht‘ ich, ich wär‘ mein Hund“ ist zwar ebenfalls ein humoristisch gefärbtes Lied, doch hier wird der Hund unverblümt verherrlicht.

Ode an eine Freundschaft für’s Leben

Mit „Glück ist, wenn Du Freunde hast“ beschreibt Mey eine für ihn wichtige Freundschaft, die seit dem Kindergarten andauernd. Zuerst trampelte der eine auf die Sandburg des anderen ein, doch dann wurde daraus eine wunderbare Freundschaft, in der man sich immer noch gerne neckt. Ein mit Erinnerungen und kleinen Anekdoten bereichertes Lied. Es ist das einzige auf dem Album, in dem zu Beginn der letzten Strophe eine Modulation (von F- nach G-Dur) zu hören ist.

Was ein Eis mit einem Taschentuch verbindet

Menschen, die Eis essen“ wurde bereits digital veröffentlicht, als die Veröffentlichung des Albums auf Ende Mai verschoben werden musste. Wie Reinhard Mey schreibt, ist es wohl das leichteste der sechzehn Lieder. Es gehört auch zu den wenigen verzichtbaren. Menschen, die Eis essen, werden überhöht und es finden sich kleine Beobachtungen des Alltages in dem Lied wieder. Es erinnert textlich an „Das Taschentuch“ vom Album „Dann mach’s gut“ (2013), da auch hier durch einen Gegenstand (Eis bzw. Taschentuch) Gemeinsamkeiten zwischen unterschiedlichsten Menschen hergestellt werden.

Auch ironische Töne dürfen nicht fehlen

Ich liebe es, unter Menschen zu sein“ erinnert musikalisch an „Larissas Traum“ vom Album „Mairegen“ (2009) und wird ebenfalls im Sprechgesang vorgetragen. In dem Lied werden nervige Alltagssituationen ironisiert.

Gerhard und Frank“ sind ein homosexuelles Paar. Beide sind in Rente und freuen sich auf die guten Zeiten. Frank hat eine schwere Diagnose erhalten, die er vor seinem Partner zu verstecken versucht. Er weiß um sein baldiges Ende, das er jedoch nicht wahrhaben will, und lenkt sich mit Plänen ab. Doch letztendlich kauft Gerhard nur ein Ticket nach Zürich. Es ist anzunehmen, dass er aktive Sterbehilfe in Anspruch genommen hat. Ein rührendes Lied, das nur von der Gitarre begleitet wird.

Liebeslieder für Kinder und Enkelkinder

Wiegenlied“ ist wohl Reinhard Meys Enkeln gewidmet. Vor allem Eltern und Großeltern dürften sich an diesem Lied erfreuen.

Wir haben jedem Kind ein Haus gegeben“ ist eine Erinnerung an die Kinder von Reinhard Mey. Darin werden alle drei Kinder in poetischen Bildern charakterisiert. Musikalisch erinnert es stark an bekannte Balladen des Liedermachers.

Dankbare Rückblicke

Zimmer mit Aussicht“ ist eine Erinnerung an die Hotelzimmer, in denen der Künstler einen Großteil seines Lebens verbracht hat. Auch dies ein Lied voller dankbarer Erinnerungen.

Was will ich mehr?“ ist ein dankbarer Rückblick auf Meys Leben. „Keine Rechnung offen, mit allen versöhnt“ – „Alles ist gut/Nichts, das ich entbehr‘“. Der Dichter scheint angekommen und mit sich im Reinen, es überwiegt – trotz aller Schicksalsschläge – das Positive. Er sieht sein Leben langsam ausklingen.

Duett mit Tochter Victoria-Luise

Abgerundet wird „Das Haus an der Ampel“ wie so oft von einem Duett mit Tochter Victoria-Luise, diesmal „Scarlet Ribbons“, ein oft gecovertes Lied, das auch von Harry Belafonte gesungen wurde.

Reinhard Mey ist angekommen

Wie so oft trägt auch dieses Album von Reinhard Mey eine melancholische Stimmung in sich. Vor allem geht es diesmal um Erinnerungen: an seine Kindheit, an die Kindheit seiner Kinder, aber auch an den Beginn seiner Karriere als der wohl erfolgreichste Liedermacher Deutschlands. Besonders ans Herz gehen das Titellied, „Der Vater und das Kind“ und „An meinen Bleistift“; verzichtbar können „Menschen, die Eis essen“ und das eröffnende „Im Hotel Zum ewigen Gang der Gezeiten“ genannt werden. Auffallend häufig wird in diesem Album Meys eigener Tod direkt oder indirekt thematisiert. Der Künstler wirkt dabei mit sich im Reinen und angekommen. Besonders gelungen sind die Soloversionen auf dem „Skizzenbuch“, die vor allem den melancholischen Liedern noch mehr Tiefe und Nähe einhauchen.

Ein unpolitisches Album

Wie schon in den Alben zuvor, spielt auch in „Das Haus an der Ampel“ die Politik keine wirkliche Rolle. Zwar spielt Reinhard Mey noch heute bei jeder Tournee Lieder wie „Das Narrenschiff“, die immer noch Gültigkeit haben, doch hätte man sich seine Stimme und seine Meinung zur Flüchtlingskrise schon beim Vorgängeralbum 2016 gewünscht. Doch Mey besinnt sich 2020 auf sich selbst, seine Erinnerungen, seinen Alltag und seine Kindheit. Vielleicht gerade deshalb ist es dieses Album in diesen unruhigen, von Angst dominierten Zeiten wert, gehört und genossen zu werden.

Fotos im Text:Siehe Bildunterschrift

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