Bei einem Blick auf den Kalender haben wir festgestellt: Nur noch 11 Monate bis zum Heiligen Abend. Höchste Zeit, um über Geschenke und weihnachtliche Musik nachzudenken. Unser Rezensent Georg Fuchs hat sich in heimeliger Atmosphäre die DVD „Christmas Down Under“ zu Gemüte geführt. Weihnachts-Rezension am 24. Januar – auch das gibt es eben nur bei uns Schlagerprofis…
Im Jahre 2018 gab André Rieu mit seinem Johann Strauß Orchester sein 12. Konzert in Sydney. Das Konzert fand in der prachtvollen und festlich geschmückten Town Hall statt, die mit über 2500 Zuschauern ausverkauft war. Im November letzten Jahres erschien ein Mitschnitt dieses Konzertes unter dem Titel „Christmas Down Under“ auf DVD.
Wer André Rieus Konzerte und Fernsehauftritte kennt, weiß um seine Qualitäten als Entertainer und die Dramaturgie seiner Konzerte: Zum Playback von „Seventysix Trombones“ kommen alle Musiker durch das Publikum in den Saal. Die Zuschauer stehen sofort auf und klatschen mit. Sobald die Musiker auf der Bühne sitzen, greifen sie zu ihren Instrumenten und spielen mit. Ab wann das Stück live gespielt wird, ist nicht zu erkennen. Selbst in Australien ist André Rieu ein großer Star: von der ersten Sekunde an ist das Publikum begeistert, es klatscht und johlt begeistert mit. Wie in Deutschland, kommen die Zuschauer aus allen Altersschichten. Es ist schon kurios, bei einem Weihnachtskonzert Publikum in T-Shirts, aber mit Weihnachtsmützen auf dem Kopf zu sehen.
Schon nach dem Opening stellt Rieu sein Orchester vor, dessen Musiker aus 13 Nationen stammen. Die Moderationen sind – natürlich – auf Englisch, doch man kann deutsche Untertitel einstellen. Das erklärte Ziel von Rieu und seinen Musikern ist es, mit Musik Freude zu bereiten, die sich auf Musiker und Publikum überträgt.
Nun gibt es mit „Schwarze Augen“ einen musikalischen Abstecher nach Russland, danach folgt der Klassiker „Granada“. Die Platin Tenors können bei diesem Lied nicht überzeugen, hier kann man einige schiefe Töne heraushören.
Erst jetzt wird es besinnlich: Selbst während der fürchterlichsten Kriege, erzählt André Rieu, herrschte zu Weihnachten Waffenruhe. Er fragt sich: Wenn das an Weihnachten möglich ist, warum dann nicht immer? Wenn er der australische Premierminister wäre, würde er allen Soldaten Geigen anstatt Waffen schenken und es gäbe keine Kriege mehr. Leider nur ein frommer Wunsch. Passend dazu erklingt „The holy city“, zu Deutsch: „Die heilige Stadt“. Gemeint ist natürlich Jerusalem. Dort habe der Friede begonnen, doch heute herrsche alles Andere als Frieden. Das in Deutschland eher unbekannte Lied singt das australische Publikum begeistert mit.
Es bleibt weihnachtlich, jedoch mit Witz: Wintersport ist Rieu zu gefährlich. Er habe sich einen Schlitten gekauft, der von seiner Frau gezogen werde. Für das bekannte Lied „Sleigh Ride“ setzen sich alle Musiker Weihnachtsmützen auf. Bei einer Tournee in China lernte Rieu zwei chinesische Sopranistinnen kennen, die er sofort engagierte. Diese singen nun „Plaisir d’amour“.
Von „Oh Holy Night“, das von vier Sopranistinnen gesungen wird, sind viele Zuschauer zu Tränen gerührt, es gibt Standing Ovations. André Rieu erzählt, dass alle Musiker nach einem Weihnachtskonzert in der Hotellobby um einen großen Weihnachtsbaum herumsaßen. Viele packten ihre Instrumente aus und musizierten – alle Hotelgäste öffneten ihre Fenster und hörten begeistert zu.
„Halleluja“ aus Händels „Messias“, das mit dem Chor und allen Solisten gespielt wird und bei dem sogar die große Orgel der Town Hall bespielt wird, wird viel zu hektisch und zu schnell gespielt. Der Interpretation fehlt die Seele, es gibt kaum ein Innehalten. Hier wird deutlich, dass die Bläser, die in diesem Stück stark beansprucht werden, in der Unterzahl sind. Das nimmt dem Lied die Wucht. Das Publikum stört das nicht, viele erheben sich von ihren Plätzen.
Für „Lara’s Theme“ („Weißt Du, wohin?“ aus dem Film „Dr. Schiwago“) wurde extra die Australian Dance Company engagiert. 80 Paare, die zu „Trumpet Volontary“ den Saal betreten, tanzen Walzer. Zu einem Auszug aus „Leichte Kavallerie“ von Franz von Suppé verlassen sie den Saal wieder.
Dem Dank an alle Techniker und Helfer hinter der Bühne schließt sich das beliebte Medley aus „Die Csárdásfürstin“ an. „Scotland the Brave“ wird von der Gruppe Canberra City Pipes and Drums begleitet, Solistin ist jedoch Manoe Konings, eine Musikerin des Johann-Strauß-Orchesters. Wieder fließen im Publikum viele Tränen. Mit einem Auszug aus „Canberra City“ werden die Gastmusiker von der Bühne verabschiedet.
Ausgelassen wird es beim Walzer „An der schönen blauen Donau“ vom Namensgeber des Orchesters, das Publikum tanzt dazu Walzer. Bereits nach etwas mehr als einer Stunde kündigt André Rieu das vermeintlich letzte Stück des Abends an. Die Message von Carl Orffs „O Fortuna“ ist laut Rieu: Glaube an die Kraft der Musik! Während dieser Anmoderation verdunkelt sich die Bühne, lediglich ein Scheinwerfer ist auf den Orchesterchef gerichtet. Zwar klingt das Stück mit dem kleinen Chor des Orchesters abgespeckt, dies hat jedoch den Vorteil, dass der Text deutlich besser zu verstehen ist. Ähnlich wie bei Händels „Halleluja“ wird der orchestrale Schluss viel zu schnell und ohne Seele gespielt. Trotzdem gibt es Standing Ovations.
Immer wieder kommen Rieus Entertainerqualitäten zum Tragen. Er versteht es, mit dem Publikum zu spielen. „Everything has an end!“ – das Publikum schreit: „No!“ – und gewinnt. Nach dem kurz anklingenden „Radetzky-Marsch“ gibt es erneut Standing Ovations. Luftballons fliegen von der Decke, die vom Publikum durch die Reihen geworfen werden.
Im Medley „Strauß & Co“ mischen sich „Als flotter Geist“, erneut „An der schönen blauen Donau“ (hier klatscht das Publikum begeistert mit), „Wiener Blut“, „Lippen schweigen“ von Franz Lehar und „Rosen aus dem Süden“ miteinander.
Bei „Libiamo“ von Gisueppe Verdi mit den Platin Tenors und den Sopranistinnen versammeln sich einige Zuschauer an der Bühnenrampe. Erneut sind bei den Tenören einige schiefe Töne zu hören.
Mit „Tutti Frutti“ von Elvis Presley kommt noch mehr Partystimmung auf, zu „Can’t help falling in love with you“ tanzt das Publikum mit, viele schalten ihre Handylampen ein. Dann wird es wieder weihnachtlich: nach „Jingle bells“ wird es mit „Hallelujah“ (Leonard Cohen) und „Stille Nacht, heilige Nacht“ wieder besinnlich. „I am Australian“ wird zunächst von einer Sopranistin gesungen, zum Schluss setzen alle Solisten ein. Hier wird an den Nationalstolz der Australier appelliert. Zu „Auld lang syne“, das von den Canberra City Pipes and Drums begleitet wird, singt das Publikum bewegt mit und fasst sich an den Händen.
Nun kommen die typischen André-Rieu-Rausschmeißer: selbst bei „Muss i denn zum Städele hinaus“ und „Adieu, mein kleiner Gardeoffizier“ wird begeistert mitgeklatscht. Den Weihnachtswünschen von André Rieu schließt sich „We wish a merry Christmas and a happy new year“ an. Ausgelassene Partystimmung kommt erneut bei „Marina“ auf, ein Teil des Publikums setzt zur Polonäse an. „Marina“ ist eines der wenigen Stücke, bei denen die Bläser im Vordergrund stehen. So findet das Weihnachtskonzert in Sydney ein fröhliches Ende.
„Vergiss das sogenannte Populare nicht“ – dieses Zitat von Wolfgang Amadeus Mozarts Vater Leopold scheint die Philosophie von André Rieu und dem Johann-Strauß-Orchester zu sein: Rieu hat es sich zur Aufgabe gemacht, Klassik zu popularisieren, also dem „einfachen Volk“ nahezubringen. Damit hat er sich weltweit große Verdienste errungen. Bei Rieus Konzerten steht die Emotion im Vordergrund. Dies ist auch daran erkennbar, dass die Kameras auffallend oft die Begeisterung des Publikums einfangen. Wie an „O Fortuna“ und Händels „Halleluja“ aufgezeigt, geht die Konzentration auf Emotion und Effekt manchmal auf Kosten der Kunst. Das Johann Strauß Orchester besteht aus exzellenten Musikern, doch die Arrangements sind oft zu „volkstümlich“ gehalten.
Dem Titel „Christmas Down Under“ wird das Programm kaum gerecht. Es werden kaum mehr als eine Handvoll wirkliche Weihnachtsklassiker gespielt, Klassiker wie „Marina“ und „Adieu, mein kleiner Gardeoffizier“ wollen nicht so recht zur Weihnachtsstimmung passen. Wer sich ein Weihnachtskonzert erhofft, ist mit der oft wiederholten deutschen Weihnachtsshow von Rieu besser bedient.
Nichtsdestotrotz ist die DVD hervorragend produziert. Oft gelingt es den Verantwortlichen einer Live-DVD nicht, die Atmosphäre eines optimal Konzertes einzufangen. Hier ist das genaue Gegenteil der Fall: diese Produktion wirkt lebendig, stimmig, die Energie zwischen Musikern und Zuhörern wird ideal widergespiegelt. Auch der Ton ist perfekt abgemischt, jedes Instrument ist ideal zu hören. Allerdings hätte man sich zum Teil sensiblere Arrangements, etwas mehr Fokus auf die Blasinstrumente und deutlich mehr Weihnachtsstimmung für dieses Konzert gewünscht.
Georg Fuchs