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Heinz Rudolf Kunze solo in Landshut: Langes Programm mit teils aufwühlenden Zwischentexten
Eine Roboterstimme erklingt zu Beginn des ausverkauften Solokonzertes von Heinz Rudolf Kunze Anfang November im Landshuter Rathausprunksaal, der seinem Namen alle Ehre macht. Als der Countdown bei der Hälfte angekommen ist, steht der Singer-Songwriter schon auf der Bühne, wird von herzlichem Applaus empfangen und setzt sich an die Gitarre. Die Begrüßung besteht aus einem gesprochenen Text, in dem er sich selbstironisch an seinem Körper „abarbeitet“. Die ersten Songs sind dann gleich zwei neue: „Liebes Lied“ klingt nach Johnny Cash, wie Kunze zugibt, „Igor“ erzählt auf berührende Weise die Geschichte eines russischen Soldaten, der in den Ukrainekrieg geschickt wird. Wie der Song entstanden ist, können Sie HIER nachlesen.
Als Überleitung zu seinem bekannten Song „Brille“ dient ein Sprechtext, der vorwegnimmt, dass Kunze sich in seiner Kindheit oft ausgegrenzt gefühlt, es aber allen gezeigt hat. Im nächsten Sprechtext echauffiert sich der Musiker teils lautstark über den inflationären Gebrauch des Wortes „Respekt“, der seiner Meinung nach nur denen gebührt, die ihn aufgrund besonderer Charaktereigenschaften oder Leistungen verdienen. Ungebildete Menschen, für die er die unterschiedlichsten Beispiele nennt, und solche, die Verständnis für „Klimakleber“ aufbringen, wirft er hier unreflektiert und überzeichnend in einen Topf und sorgt damit bei den einen für Lachen, bei den anderen für Kopfschütteln.
Teils sperrige Sprechtexte
Um die Liebe geht es in einem Sprechtext über Sprachlosigkeit in einer lange bestehenden Beziehung und einem Lied, das wohl sagen will: „,So, wie Du bist‘, bist Du richtig“. Manche Sprechtexte erschließen sich dem Zuhörer nicht gleich, so auch der über Pseudomoral. „Aller Herren Länder“ ist zwar schon vor 25 Jahren entstanden, scheint aber heute aktueller denn je, handelt es doch vom Umgang mit Geflüchteten. Kunze bezeichnet das Lied humorig als „Angstgegner“, weil er dafür das Mundharmonikagestell zur Hand nehmen muss, das er mit einer „Zahnspange für Hannibal Lector“ vergleicht. Der Text über politische Wahlfreiheit kann als Mahnung vor der AfD verstanden werden, insbesondere da darauf.
Für das Lied „Die Zeit ist reif“, das Hoffnung auf eine (auch politisch) bessere Zeit weckt, setzt er sich erstmals ans Klavier.
Kunze beklagt sich über die täglich auf zdf.info ausgestrahlten Dokumentationen über Hitlers Frauen, Hitlers Hunde und die Gräueltaten der Nazis. Bei einigen Zuhörern löst er wohl Empörung aus, wenn er sich gegen die Erinnerungskultur („Gegen das Vergessen“) und die deutsche Schuld zu positionieren scheint. Er löst es zwar auf, indem er sagt, dass diese Dokumentationen eher Faszination als Abschreckung hervorrufen. Sätze wie: „Wir haben den Juden unser Auschwitz nie verziehen“ oder: „Linke Antisemiten krakeelen: ,The Shoah must go on‘“ machen trotzdem fassungslos. Man möchte ihm den Satz von Hannes Wader entgegenhalten: „Wer nicht jeden Tag über den Holocaust nachdenkt, den soll der Teufel holen.“
Liebes- und Bilanzlieder wechseln sich mit beißender politischer Kritik ab
Versöhnlicher geht es mit Texten und Liedern über gescheiterte Beziehungen, „lustige Boshaftigkeiten“ und „Die ganz normalen Menschen“ weiter. Über sich, seine Charaktereigenschaften und Vorlieben erzählt er im Text „Mein Profil“ und in „Meine eigenen Wege“. Dafür geht’s zurück an die Gitarre.
In einem Text, der fast ausschließlich aus rhetorischen Fragen besteht, prangert Kunze Umweltzerstörung an und fragt, warum „Menschen, die die Juden töten wollen“, zu uns, in das „schlimmste Volk der Judenmörder“ kommen dürfen. „Die furchtbaren herrlichen Jahre“ kann als Bilanz auf Kunzes Leben und seine Karriere verstanden werden. Selbstironisch macht er sich über sein Gewicht lustig, das er durch seine fehlende Freude an Bewegung erklärt. Die Heiterkeit wird gleich durch das Liebeslied „Nimm mit mir Vorlieb“ gebrochen, für das er ans Klavier wechselt.
Selbstreflexion, Selbstironie und Hits
Selbst das ihn anwidernde Lied „Heidschi-Bumm-Beidschi“ ist dem „sprachverliebten“ Kunze einen witzigen Sprechtext wert. In dem großartigen „Klar hab‘ ich geweint“ stellt er seine Kreativität und Experimentierfreudigkeit den Erwartungen seines Publikums gegenüber, das „lieber nur die Hälfte will“. Ein Sprechtext, der von einem Tag ohne schlechte Nachrichten träumt, leitet „Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort“ ein, das ebenfalls Hoffnung signalisiert.
In zwei Alphabeten reiht Kunze 26 Begriffe aneinander, die er negativ bzw. positiv konnotiert, und endet mit: „Danke fürs Zuhören!“ Mit „Vertriebener“ wird langsam das offizielle Ende des Konzertes eingeleitet. Vor seinem größten Hit „Dein ist mein ganzes Herz“ erzählt er von Menschen, die ihn auf eben dieses Lied reduzieren und deshalb mit allen möglichen Promis verwechseln. Selbst Nino de Angelo sei schon dabei gewesen.
„Lola“ und „Finden Sie Mabel“ folgen. In einem rhythmisch gesprochenen, von der Mundharmonika begleiteten Sprechtext bekennt der Musiker, mit sich selbst im Reinen zu sein. Mit „Rückenwind“ endet das Konzert. Obwohl es auf seiner Homepage heißt, bei seinen Konzerten unterschreibe er gerne CD-Booklets und ähnliches, findet sich Kunze nach dem Konzert nicht zum Signieren am Fanshop ein, wo es das aktuelle Studioalbum, die CD zum Soloprogramm und Fanartikel zu kaufen gibt.
Heinz Rudolf Kunzes Konzert in Landshut ist eine Mischung aus Liebesliedern, Selbstreflexion, Selbstironie und den unvermeidlichen Hits. Dabei beeindrucken seine jung klingende, jedes Wort deutlich artikulierende Stimme und die Nähe, die er mit seinen Sprechtexten erzeugt. Dank ihnen kann er es sich erlauben, auf Moderationen zu verzichten, ohne dass das Konzert abgespult wirkt. Sie legen die durchweg stringente Dramaturgie fest, sind perfekt aufeinander abgestimmt. Bei einer derartigen thematischen Vielfalt hätte eine Pause gutgetan, doch Kunze zieht sein zweieinhalbstündiges Programm durch. Mancher verlässt zwischendurch kurz den Saal.
Mancher Text lässt den Zuhörer schockiert zurück, insbesondere jener über den Begriff „Respekt“ und noch mehr der, der sich gegen die Erinnerungskultur stellt. Deshalb ist der Konzerteindruck nicht durchweg positiv.
Die folgende Setlist beinhaltet nur die gesungenen Lieder, da nicht die Titel aller Sprechtexte zu ermitteln waren:
Liebes Lied
Igor
Brille
Leg‘ nicht auf
So, wie Du bist
Aller Herren Länder
Die Zeit ist reif
Der schwere Mut
Ich hab’s versucht
Die ganz normalen Menschen
Meine eigenen Wege
Die furchtbaren herrlichen Jahre
Nimm mit mir Vorlieb
Klar‘ hab ich geweint
Die Dunkelheit hat nicht das letzte Wort
Vertriebener
Dein ist mein ganzes Herz
Lola
Finden Sie Mabel
Rückenwind
Maximilian Lemli
Pressefoto: Simon Stöckl