Als wir von den Schlagerprofis am 16. April 2015 der Premiere des Programms „Nutten, Koks und frische Erdbeeren“ beiwohnten (damals gab es die Schlagerprofis allerdings noch gar nicht), wussten wir noch nicht, welcher unglaublichen Erfolgsgeschichte wir beiwohnen würden. Damals reichte der Duisburger Steinhof als Location noch vollkommen aus, um Wolfgang Trepper als Lokalmatador und Mary Roos als Schlagerstar in einem neuen, noch nie dagewesenen „Schlager-Kabarett“ zu etablieren.
Nach 170 Aufführungen war die Dernière dann im gleichen Ort: In Duisburg, wobei die Location kapazitätsbedingt wechseln musste – am 9. November ging es im Theater am Marientor in die letzte „Nutten, Koks…“-Runde.
Videobotschafter: Bernhard Brink, Corny Littmann und Volker Lechtenbrink
Dass es keine „normale“ Show werden würde, zeigte sich bereits zu Beginn, als gleich drei prominente Videobotschafter Mary und Wolfgang alles Gute wünschten. Bernhard Brink (O-Ton Mary: „Der war unser gut aussehende Playboy“; O-Ton Trepper: „Der liebe Gott ist ungerecht, Udo Jürgens hat er uns genommen, Bernhard Brink lebt noch“), Corny Littmann (Einblendung: „hört sich gerne reden“ – einer der wenigen, die von Anfang an das Konzept glaubten) und Volker Lechtenbrink (Wolfgang: „Der kann sogar das Telefonbuch vorlesen und ich würde ich bei DER Stimme nicht unterbrechen“) läuteten den Abend mit netten Grüßen via Video ein.
„Wie lange woll’n Sie das noch machen?“ – Mary wird locker
Schon bei der Premiere begann Mary ihren Auftritt mit ihrem herrlich-ironischen Song „Wie lange woll’n Sie das noch machen?“. Übrigens hat sich das musikalische Programm von Premiere bis Dernière nicht geändert – mit einer Ausnahme: Marys Titel „Unbemannt“ ist aus dem Programm genommen worden. – Mary, die bei der Dernière viel lockerer wirkte als bei der Premiere, pochte darauf, höflich zu sein, indem Sie zu Beginn des Abends fragte, ob Trepper überhaupt schon ordentlich „Guten Abend“ gesagt habe.
Aber auch Trepper gab sich bei der Premiere noch deutlich defensiver. Damals grübelte er, ob Roy Black wohl angesichts gewisser Respektlosigkeiten fluchend auf einer Wolke sitze und sich denke „Darben soll er, darben!“. Derartige Statements über womöglich kritisch denkende Schlager-Protagonisten hat Trepper bei der Dernière nicht mehr von sich gegeben.
Interessant ist, dass bei der Premiere noch „Das hat die Welt noch nicht gesehen“ als Marys zweite Single „verkauft“ wurde, während beim Finale „Darauf hat die Welt gewartet“ als Song-Titel genannt wurde.
HEINO betritt die Bühne – mit „Nutte, Koks und frischen Erdbeeren“
Ein Highlight der Dernière war zweifelsohne der Auftritt vom einmaligen HEINO, der dem Programm ja den Namen gegeben hatte und stilecht mit einer „Nutte“, Koks und frischen Erdbeeren vorbeischaute (,wobei man der Darstellerin der „Nutte“ Respekt für so viel Selbstironie zollen muss). Ritterschlag für Trepper: Heino verabschiedete sich mit den Worten: „Wolfgang, Du bist ein ganz Großer!“.
Kleine Kritik: Helene heißt Helene!
Eine ganz „Große“ und angeblich die „beliebteste Deutsche“ ist Helene Fischer. Wolfgang Trepper zieht Helene-Fans diesen Zahn mit dem Hinweis, dass die Künstlerin gebürtig aus Sibiren stamme (O-Ton: „Warum hat Putin die bloß rausgelassen?“). Zur „Strafe“ sei Helene Florian Silbereisen widerfahren – dieser Gag ist übrigens im Vergleich zur Premiere neu. Warum Trepper behauptet, Helene hieße in Wahrheit „Elena“, wissen wir nicht. Fakt ist – zumindest einschlägigen Quellen zufolge – Helene heißt Helene: Helene Fischer ist (laut Helene) ihr bürgerlicher Name, das hat sie u. a. in der TV-Sendung „Meylensteine“ so kommuniziert.
Freundin von Mary Roos: Peggy March!
Beim Gedenken an den unvergleichlichen und unvergessenen Dieter Thomas Heck tauchte eine gute Freundin Mary Roos’ auf der Bildfläche auf: Peggy March, die Mary jedes Jahr in Hamburg (aus Kalifornien kommend) besucht. So ganz scheint Trepper von March-Songs nicht überzeugt zu sein und wunderte sich über den Text „Romeo und Julia“. („…und sind auch nicht zu Hause in FLORENZ..“) – entschuldigend wirft Trepper ein, dass sich auf Verona nicht viel reime und er außerdem nicht von der Feldbusch sprechen wolle…
Tragisch ist auch das Schicksals Ricky Shaynes. Der hatte bekanntlich etwa ein Jahr lang eine Trinkhalle in Düsseldorf, musste die aber schließen, weil dann – so Trepper – Gunther Gabriel weggezogen sei.
Tiefgründig: Plädoyer für Toleranz gegenüber Gleichgeschlechtlichen
Interessant ist der Passus rund um Rex Gildo, den Mary ganz ohne Ironie und ehrlich als „ganz feinen Mann“ bezeichnet hat. Und hier wird es wieder spannend: Während an dieser Stelle bei der Premiere der humorvoll-kabarettistische Aspekt im Vordergrund stand, hat Trepper im Lauf der Tour immer mehr ernsthafte Gedanken einfließen lassen – etwa zum Beispiel die Tragik, dass ein homosexueller Mensch seine Neigungen in den 1970er Jahren nicht ausleben durfte, was schon damals tragisch gewesen sei und heutzutage noch immer nicht selbstverständlich sei. Diese „menschlichen“ Teile des Programms wirkten gerade im ansonsten humorvollen Umfeld doppelt gut. Der ernste Passus zur gleichgeschlechtlichen Liebe war bei der Premiere noch kein Programmbestandteil. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Mary Roos mit „Bevor Du einen Mann liebst“ schon sehr früh das Thema Homosexualität im Schlager transportiert hat.
Schlagerkommune in der Wittelsbacher Straße in Berlin?
Ebenfalls neu ist der zugegeben sehr böse Gag um die Autogrammadressen, die bei der ZDF-Hitparade eingeblendet wurden. Während Trepper bei der Premiere noch grübelte, ob es sich bei der „Wittelsbacher Straße“ um eine Kommune handle, wo Sex & Drugs & Rock’n’Roll eine Rolle spielten (Zitat: „wohnt die Dreckskommune und vögelt sich das Hirn aus dem Leib“) und diesen Gedanken verwarf, weil auch Mary in dieser Straße lebte und die ja in diesem Umfeld nicht zu vermuten ist, wurde dieser Gag abgewandelt. Bei der Dernière gab es einen anderen Grund, auszuschließen, dass in der Ort „Wittelsbacher Straße“ ein Ort für Orgien sei. Warum?: Weil – so Trepper – „da wohnte ja auch Katja Ebstein, und an die geht ja keiner freiwillig dran“ (Achtung – wir haben das jetzt nur zitiert)…
Der besondere Text: „Ein bisschen Aroma“
Der arme Roger Whittaker kriegte auch sein Fett mit einem der wohl wahnsinnigsten Schlagertexte aller Zeiten weg, den Trepper allerdings bei der Dernière in die 1970er Jahre legte, obwohl er aus den 1980ern stammt, wie es bei der Premiere korrekt gesagt wurde. So oder so scheint der Song „Ein bisschen Aroma“ Wolfgang Trepper sehr zu beeindrucken: „Mit dir, Chérie-hie-hie“.
Gegen Ende der ersten Hälfte war Trepper sehr erfreut, dass Mary noch fit war? Warum? Ganz einfach: „Bist du da, Mary? Gott sei Dank! Dann haben Sie Glück, vorgestern war der Abend an der Stelle zu Ende!“.
Hassliebe: Vicky Leandros
Nachdem Wolfgang Trepper die zweite Hälfte mit einem sehr ausführlichen Rückblick auf die TV-Serie Dallas startete und auf die sonst obligatorische Zählung der leer gebliebenen Plätze zur zweiten Hälfte verzichtete, ging er auf eine seiner offensichtlich absoluten „Lieblingssängerinnen“ ein: Vicky Leandros, die mit „Theo, wir fahren nach Lodz“ bekanntlich einen großen Hit landete. Seinen persönlichen Lieblingsgag („da freue ich mich schon den ganzen Abend drauf“) platzierte er mit einem imposanten Vergleich: „Lodz, das Oberhausen Polens“. Im weitern Verlauf des Abends bewies Wolfgang seine „Liebe“ zu Vicky, indem er orakelte, dass sie doch sehr jung sei: „38 – also Jahrgang…“
Graham Bonney wählt 2018 wie 1969: „333“
Im Anschluss gab es mit Graham Bonney wieder einen Überraschungsgast: Graham Bonney sang mit „Wähle 3-3-3“ ein historisches Lied. Warum? Ganz einfach: Dieser Schlager war der dritte überhaupt gesungene Titel der ZDF-Hitparade. Anna-Lena und Roy Black, die die beiden ersten Songs der Kultshow interpretierten, sind bereits verstorben, so dass Graham der einzige noch quicklebendige Hitparaden-Star ist, den man für so einen Auftritt gewinnen konnte – toll, das hat allen Protagonisten offensichtlich richtig Spaß gemacht.
„…hielt ich ihre Jugend in den Händen…“
DER König der ZDF-Hitparade (der mit den meisten Auftritten) ist Roland Kaiser. Und auch der kriegte sein Fett weg. Mit großspurigen Bewegungen demonstrierte Trepper, was Roland wohl mit „hielt ich ihre Jugend in den Händen“ bei Santa Maria meinte und konstatierte: „Wenn Sie den Song hören, werden Sie künftig immer an mich denken!“ – vermutlich hat Wolfgang Trepper damit in der Tat Recht, auch wenn genau diesen Gag auch Jörg Thadeusz in einem heutigen WDR2-Interview mit Mary auf der Pfanne hatte..
Die erfolgreichste Sängerin der 1980er Jahre…
Mit einer Fangfrage überraschte der Kabarettist sein Duisburger Publikum: „Wer war die erfolgreichste Sängerin der 80er Jahre? Es ist nicht die, die Sie vermuten!“. Als „Nena“ kam, spottete er: „Wer lässt hier immer die Düsseldorfer rein?“. – Lösung: Juliane Werding war wohl die Schlagerkönigin der 1980er Jahre. Im Anschluss zitierte Wolfgang allerdings die 1970er Hits Julianes, die (ausgerechnet) von Gunther Gabriel geschrieben wurden: „Wenn Du denkst, Du denkst…“.
„65 Mainz – FÜNFHUNDERT!“
Wehmütig dachte Trepper an die gute alte Zeit der ZDF-Hitparade zurück (und demonstrierte deren Bedeutung mit der Adresse für die Stimmkarten: „65 Mainz?“ – und wirklich alle Zuschauer brüllten: „500!!!“. Kritisch stellte Trepper fest, dass das Postfach der Hitparade sich im kollektiven Bewusstsein der Nation wohl mehr manifestiert habe als beispielsweise die letzten fünf Kanzler der Republik, die man nicht so aus der Pistole geschossen hätte nennen können.
ABER damit wurde es wieder Zeit für eine ernste Betrachtung: Das, was das Leben ausmacht, seien Erinnerungen. Der Song „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo“ habe eigentlich keine große Bedeutung – in Kombination mit der ersten Freundin, mit der man zu genau diesem Lied Klammerblues getanzt habe, sei das aber eine wertvolle Erinnerung.
Uwe Hübner….
Einen Seitenhieb auf folgende Hitparade-Moderatoren konnte sich Trepper auch nicht verkneifen. GANZ, GANZ wichtig – es folgt ein Zitat, das mit dem Verfasser dieser Zeilen nun wirklich gar nichts zu tun hat! Trepper ließ sich zu folgendem Statement hinreißen: „Uwe Hübner, über die Lusche brauchen wir uns überhaupt nicht zu unterhalten!“ (noch mal: das ist ein Zitat!).
Eine weitere Hitparaden-Erinnerung ist die an Hans Hartz, bei dem der TED ausfiel. Hartz guckte dumm aus der Wäsche, weil er angeblich 0,0 Prozent für seinen Schlager erzielt habe.
Nase und Blase
Auch die volkstümliche Musik bekam ihr Fett weg. Das Pärchen Stefan Mross und Stefanie Hertel bezeichnete Trepper abkürzend als „Nase und Blase“.
Tony Marshall: „zu jung zum zum….“
Richtig witzig wurde es, als Wolfgang Marys angebliches „Lieblingslied“ vorstellte, ein Werk von Tony Marshall: „Das Mädchen vom Nachbarhaus“. Darin heißt es: „Sie war das Mädchen vom Nachbarhaus – und ich brachte sie nachts nach Haus – doch sie war viel zu jung zum zum – und ich war viel zu dumm zum zum…“ – Trepper fragte, was man „rauchen“ müsse, um auf so etwas zu kommen und konnte den anwesenden Textdichter Curt Gerritzen direkt befragen, der selbstironisch diese Frage weglachte. Nebenbei bemerkt, auch andere Autoren waren vor Ort, beispielweise Johannes Oerding, der seine Lebensgefährtin Ina Müller gleich mitbrachte.
Natürlich bekam auch die Goldene Stimme aus Prag ihr Fett weg: Den tiefen Inhalt des Textes „Als wir Kinder waren – sind wir oft gefahren – oben auf dem Wagen mit DEN Heu“ fand Trepper vom Satzbau wie auch von der Grammatik her kritikwürdig…
Mary ist SEHR alt!…
Aber auch Mary wurde immer wieder ganz böse (natürlich augenzwinkernd) angegriffen. Beispielsweise bedauerte Trepper, dass Mary nicht ohne Weiteres umziehen könne. Warum? „Ihre Unterlagen sind in der Völkerschlacht von Leipzig verlorengegangen“. Sehr „nett“ war übrigens der Hinweis, dass Mary so alt sei, dass sie noch gelebt habe, als das Tote Meer noch das „kranke“ Meer gewesen sei…
Wolfgang Trepper probiert sich als Schlagersänger aus
Sehr ergreifend endete der Abend: Der Song „Zu schön, um wahr zu sein“ spielte immer eine große Rolle bei der Tour. Diesmal gab es aber eine Überraschung: Wolfgang Trepper griff sich (zum Leidwesen Marys, die das Lied auch sehr gerne selber gesungen hätte) das Mikrofon und sang einen Spezialtext dieses Klassikers und dankte seinen Mitstreitern. Auch die im Laufe des Abends stets als polnische Spargelstecher bezeichneten Musiker werden zu guter Letzt namentlich genannt: „Nik, Ferdi, Thomas und auch du – der Mann am Bass gibt stets allen die Ruh’ — Für die vier Jungs würd ich glatt morden!“
Spende für das Dirk-Bach-Haus
Zum Schluss des Abends wurde Geld für einen guten Zweck, das Dirk-Bach-Haus, gespendet. In Summe haben Mary und Wolfgang im Lauf der Tour knapp 100.000 EUR dafür gesammelt. Zusätzlich erspielte Trepper in einer Quizshow 40.000 EUR. Dankbar nahm Hella von Sinnen den passenden Scheck höchstpersönlich entgegen.
„170-mal ein kleines Fest“ – damit ist nun Schluss. Was bleibt, ist, DANKE zu sagen. Danke, dass Wolfgang Trepper und Mary Roos sehr eindrucksvoll etwas bewiesen haben, was den deutschen Schlager ausmacht: Tiefgang und Selbstironie müssen einander nicht ausschließen – im Gegenteil! Lauthalses und herzliches Lachen und nachdenkliche du tiefgründige Aspekte passen durchaus zusammen – das hat bekanntlich schon der große Udo Jürgens in seinen Shows immer wieder bewiesen.
Solo-Tour von Mary schließt sich nahtlos an: Premiere am Samstag in Berlin
Zum Glück geht das Leben weiter –und wie: Mary Roos startet schon am kommenden Samstag in Berlin ihre Solo-Tour, und auch Wolfgang Trepper wird als Kabarettist durch die Lande ziehen.
Wir von den Schlagerprofis ziehen den Hut vor dem Mut, den Wolfgang und Mary mit diesem einmaligen Programm bewiesen haben und hoffen, dass es vielleicht doch eines Tages mit einer neuen Tour weitergehen möge…