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HOWARD CARPENDALE: Seine Autobiografie „Unerwartet“ ist ein Blick hinter die Kulissen eines ungewöhnlichen Lebens
HOWARD CARPENDALEs Autobiografie „Unerwartet“ ist eine angenehme Überraschung: kein weichgespültes Schlager-Nostalgiebuch, sondern ein erstaunlich offener, manchmal schonungsloser Bericht eines Mannes, der lange Zeit hinter einem perfekten Image verschwand. CARPENDALE erzählt von einer Kindheit, die weniger Goldrand als Grauschleier hatte. Er erzählt schonungslos offen, reflektiert und mit einer bemerkenswerten Mischung aus Selbstironie und Ernsthaftigkeit. Das Werk ist damit nicht nur für Fans des Sängers interessant, sondern auch für Leser, die einen ungewöhnlichen Lebensweg im Musikgeschäft nachvollziehen möchten.
Herkunft, Kindheit und der lange Schatten der Familie
Mehrfach wendet HOWARD den Blick auf seine frühe Sozialisation in Südafrika. Das Kapitel über seinen Vater zeigt ein ambivalentes Verhältnis – geprägt von Strenge, Distanz und emotionaler Kälte, aber auch großem Respekt und väterlicher Liebe. Dennoch vorhandene familiäre Spannungen ziehen sich als Subtext durch die gesamte Erzählung. Auch die Entstehung und spätere Verwerfung eines Künstlernamens wird thematisiert. Interessant ist die Herkunft seines Vornamens: HOWARD hieß der Bruder seines Vaters, dessen Namen ihm nun gegeben wurde.
Konflikte, Tabus und Mut zur Offenheit
Einige Passagen überraschen durch ihre schonungslose „unerwartete“ Offenheit. CARPENDALE verschweigt heikle Kapitel seines Umfelds nicht, etwa wenn er Hinweise auf problematische sexuelle Themen im erweiterten Umfeld schildert. Wobei es ihn als Kind sogar selbst betroffen hatte – so erzählt er von einem Bekannten seiner Eltern. Das Verhalten von ARCHIE hat HOWARD bis heute nicht vergessen:
„Mit seiner riesigen Hand greift er nach meinem linken Knie. Er tätschelt es. Und lacht, ein heiseres Lachen. Seine Hand streift mein Bein hinauf, immer höher“.
Bis heute nagt es an HOWARD, dass seine Eltern ihn vor diesem Mann nicht beschützt haben, was in seinem Leben eine große Bedeutung haben sollte: „Möglicherweise habe ich daraus den Schluss gezogen, ich müsste mich selbst beschützen“, schreibt er in seinem Buch.
Ebenso berichtet er erstmals über die Homosexualität seines Freundes NORMAN, das war der Mann, mit dem zusammen HOWARD aus Südafrika nach Europa flog, und zeigt dabei viel Empathie und Verständnis für dessen schwierige Lebenssituation in einer Zeit, in der queere Identitäten kaum Akzeptanz fanden
Zwischen Kinsmen und Karrierebeginn – die frühen musikalischen Jahre
Die KINSMEN-Zeit, also der Lebensabschnitt, als HOWARD in der Band dieses Namens mitwirkte, bekommt eine besondere Bedeutung. Hier lernt der Sänger nicht nur musikalisches Handwerk, sondern erlebt auch die Freiheiten und Ausschweifungen einer jungen Band – inklusive durchaus turbulenter Episoden wie einem One-Night-Stand „zu viert“.
Diese Schilderungen sind ungeschönt, aber nie sensationsheischend – sie dienen vielmehr dem Verständnis, wie ungeradlinig sein Weg in die professionelle Musik verlief.
Schlager, Image und der Kampf um Authentizität
Besonders spannend sind HOWARDs Reflexionen über das Schlager-Genre. Er schildert sehr klar, wie ihn das Image des glatten Schlagersängers über Jahre verfolgte und wie schwer es war, künstlerische Weiterentwicklung gegen die Erwartungen des Publikums und der Medien durchzusetzen. Gleich zu Beginn seines Buches stellt er unmissverständlich fest:
Und ich war nie ein Schlagersänger. Auch wenn ich Schlager gesungen habe.
Passagen wie diese sind hochinteressant für jeden, der sich mit Mechanismen der Musikindustrie beschäftigt. HOWARD analysiert im Buch mehrfach, wie er in die „Schlagersänger“-Rolle hineingedrängt wurde und wie sehr ihn das zeitweise frustrierte
Entschuldigungsbrief an die ZDF-Hitparade
Auch seine Erfahrungen mit ikonischen Formaten wie der ZDF-Hitparade gehören dazu – mal hilfreich, mal hinderlich für seine Karriere. Bereits in der zweiten Ausgabe war HOWARD mit „Ob-la-di, ob-la-da“ in der ZDF-Hitparade, allerdings NICHT mit seinem Schlagerwettbewerbs-Siegertitel „Das schöne Mädchen von Seite Eins“. Seine Philosophie damals: „Wer erfolgreich sein will, muss sich rarmachen“ – und sagte mit diesem Titel die Sendung ab.
Wohl eine Fehleinschätzung, so dass er längere Zeit nicht in der Show dabei war. Mit Erscheinen seines für die Karriere extrem richtungsweisenden und wichtigen Liedes „Da nahm er seine Gitarre“ schrieb er einen Entschuldigungsbrief an die Redaktion der ZDF-Hitparade – und wurde prompt wieder eingeladen – der Rest ist Geschichte…
Begegnungen & Anekdoten: Von den BEATLES bis HORST JANKOWSKI
Charmant und überraschend wirken die Begegnungen mit anderen Musikergrößen. Etwa die Episode, in der Carpendale die BEATLES trifft – ein Moment, der für ihn selbst offenbar noch Jahrzehnte später nachhallt, auch wenn das vom Journalisten JOCHEN VON BREDOW arrangierte Treffen mit Hindernissen verbunden war.
Andere Anekdoten – etwa wie ihm „ausgerechnet“ (wer hätte das gedacht?) die Pianisten-Legende HORST JANKOWSKI ihm einen Joint anbietet – zeigen humorvoll die lockere und manchmal chaotische Welt der damaligen Musikszene
Musikalische Entwicklung – mehr als Schlager
Mehrfach reflektiert HOWARD seine musikalische Entwicklung, seine stilistische Suche und den Wunsch, sich vom puren Schlagerschubladendenken zu lösen. Für Musikinteressierte besonders aufschlussreich ist, wie bewusst er sich immer mit internationalen Trends auseinandersetzte und versuchte, diese in die deutsche Poplandschaft zu übertragen, exemplarisch sei sein Song „Laura Jane“ genannt.
Späte Phase: Comeback, Management und Konflikte
Zum Ende des Buches berichtet HOWARD über seine Comeback-Tour und die Zusammenarbeit mit seinem langjährigen kürzlich leider verstorbenen Manager DIETER WEIDENFELD, der ihn sehr kompetent als Konzertkünstler aufgebaut hatte. Die Zusammenarbeit dauerte über viele Dekaden an – bis es zu einem Streit kam und damit zum Bruch. HOWARD stellte sich mit dem Manager KAI MASER neu auf – und erfindet sich einmal mehr neu, indem er sich klar den heutigen Marktmechanismen öffnet.
Diese letzten Kapitel zeigen, wie viel Kraft und strategische Klugheit es benötigt, eine jahrzehntelange Karriere gegen alle Widrigkeiten am Leben zu halten.
Fazit: Eine Autobiografie, die überrascht
HOWARD CARPENDALEs Buch ist weit mehr als eine Chronik musikalischer Erfolge. Insbesondere aus den frühen Jahren erfahren wir da zwar Einiges, aber HOWARD stellt auch unmissverständlich fest: „Ich möchte in diesem Buch nicht jede einzelne Station meiner weiteren Karriere nacherzählen“. Stattdessen erleben wir einen erstaunlich (bzw. „unerwartet“) offenen Erzähler, einen Künstler zwischen Identität, Image und Selbstbehauptung, einen Menschen, der Höhen und Tiefen nicht beschönigt.
Für Musikfans – besonders für Leser, die den deutschen Schlager jenseits aller Klischees verstehen wollen – ist diese Autobiografie ein absolut lohnender Blick hinter die Kulissen einer außergewöhnlichen Karriere.
HOWARD CARPENDALE erzählt weniger vom Glanz, mehr von den Kratzern. Genau das macht dieses Buch lesenswert. Es ist die Autobiografie eines Mannes, der nicht nur seine Karriere, sondern auch seine Legende entmystifiziert — und sich damit als überraschend moderner Erzähler zeigt.

















